Lotte empfängt den BVB Hurra, das ganze Dorf ist Star

Lotte · Sportfreunde Lotte gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal. Drittligist gegen Champions-League-Teilnehmer. Unser Autor hat sich vor dem Viertelfinale im 14.000-Einwohner-Ort umgesehen.

Sportfreunde Lotte - TSV 1860 München: die Bilder des Spiels
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Alles beginnt mit einem Kreisverkehr. Genau genommen sind es sogar zwei. "Im Kreisverkehr die erste Abfahrt nehmen", befiehlt das Navi, nachdem man die Autobahnausfahrt in Richtung Lotte hinter sich gelassen hat. Vorbei an grünen Feldern und einer verlassenen Bushaltestelle sind es nur wenige Meter zu dem Ort, auf den heute Abend wohl ganz Fußball-Deutschland schauen wird, wenn der Drittligist Sportfreunde Lotte den Bundesligisten Borussia Dortmund zum Viertefinalspiel im DFB-Pokal (20.45 Uhr/Live-Ticker) empfangen wird.

Gähnende Leere und Ruhe zur Mittagszeit

Kurz vor dem zweiten Kreisverkehr taucht auf der rechten Seite ein Schild auf und kündigt die nächste 90er Motto-Party im Umland an. Ansonsten herrscht im Ortskern gähnende Leere. Ruhe ist zur Mittagszeit offensichtlich oberstes Gebot in der 14.000-Seelen-Gemeinde im Tecklenburgerland. Geschäftiger geht es da schon im Stadion der Sportfreunde zu, das sich hinter einem Discounter auf einem offenen Feld befindet.

Im Minutentakt rollen schwere Lkw auf das Gelände und durchbrechen mit lautem Getöse die umliegende Stille. Während verschiedene Fernsehteams mobile TV-Studios hinter der Haupttribüne aufbauen, schleppen Helfer ein paar Schritte weiter mehrere weiße Plastik-Stehtische ins Stadioninnere. Alles soll an Ort und Stelle stehen, wenn die Borussen mit ihrem Mannschaftsbus vorfahren.

Das gilt auch für den Rasen, das bislang größte Sorgenkind. Schnee, Eis und Regen haben das Geläuf in den vergangenen Wochen schwer in Mitleidenschaft gezogen. So schwer, dass die Sportfreunde ihre vergangenen beiden Heimspiele in der 3. Liga gegen Kiel und Chemnitz nicht austragen konnten.

Viel Arbeit also für Platzwart Fred Brandt, der sich zusammen mit Hans-Ulrich Saatkamp (1. Vorsitzender) und Rudolf Winkler (Abteilungsleiter) eine kleine Pause in einer umliegenden Bäckerei gönnt. Die drei ergrauten Herren haben nicht viel Zeit. Die leeren Kaffeebecher und das zusammengeknüllte Papier auf den Tellern zeugen von einem hastigen Mahl. "Wir haben gerade kleine Löcher in den Boden gestampft, damit er ein wenig lüften kann", erläutert Winkler und freut sich bereits auf den Sommer, wenn endlich die lang ersehnte Rasenheizung installiert wird.

Bis dahin müssen sie aber noch selbst anpacken. Alle zusammen. Das können sie in Lotte besonders gut. So wie zuletzt Anfang des Monats, als vor dem Achtelfinale gegen 1860 München nach einem plötzlichen Wintereinbruch eine zentimeterhohe Schneedecke auf dem Platz lag und ein Spielabbruch drohte. Der Verein rief daraufhin via Facebook um Hilfe, und innerhalb weniger Minuten fanden sich über 100 Freiwillige, die mit Schneeschippen das Spielfeld noch rechtzeitig von der weißen Pracht befreiten. Somit hatten auch sie ihren Anteil am späteren 2:0-Sieg gegen den Zweitligisten.

"Wir sind hier alle Freunde, das muss man einfach mal selbst erleben, um das zu glauben", beschreibt Hakki Hamidanoglu und meint damit nicht nur den Zusammenhalt im Dorf, sondern auch die Verbundenheit mit den Spielern. "Jeder kennt jeden - das ist ein Vorteil. Wir haben hier keine Stars, die hohe Ablösen gekostet haben", erklärt der Pizzabäcker, in dessen Restaurant die Spieler ein- und ausgehen. Das geht sogar so weit, dass einige Spieler regelmäßig am Abend vor Heimspielen bei ihm vorbeischauen und immer das Gleiche essen - das soll Glück bringen.

Pizzabrötchen "alla Benne"

Torwart Benedikt Fernandez bestellt sich beispielsweise immer Pizzabrötchen "alla Benne" (gefüllt mit Käse, Zwiebeln, scharfer Peperoni und Schinken) und einen Teller Nudeln, meistens mit Tomatensauce und Hühnerbrust.

Dass Hamidanoglu seinen Verein heiß und innig liebt, verrät nicht nur das Sportfreunde-Trikot, das er während der Arbeit mit stolz trägt. Allein die Inneneinrichtung seines kleinen Lokals erinnert an ein Vereinsmuseum: Schals, signierte Autogrammkarten, ein großes Mannschaftsfoto, dazu noch Wandlampen, die in den Vereinsfarben Blau und Weiß erstrahlen. "Lotte ist neben Fenerbahce Istanbul meine zweite große Liebe", sagt er und deutet auf den Fernseher gegenüber der Theke, wo gerade der vereinseigene Sender "Fenerbahce TV" läuft. "24 Stunden", merkt seine Mitarbeiterin Esther Wilhelm mit einem Augenzwickern an.

Heute macht Hamidanoglu allerdings eine Ausnahme. Er erwartet schließlich über 40 Gäste zum Public Viewing. Zeit, um selber ins Stadion zu gehen, bleibt da leider nicht. "Das ist aber kein Problem", meint Hamidanoglu und zieht entspannt an seiner Zigarette. "Die letzten Male war ich auch immer während der Spiele im Laden, und wir haben jedes Mal gewonnen." Zur Not hilft aber bestimmt auch ein Teller Nudeln.

Hinweis der Redaktion: Sporfreunde Lotte wurde in der ursprünglichen Version des Artikels einmal fälschlicherweise als Regionalligist bezeichnet. Lotte spielt in der 3. Liga. Der Fehler wurde korrigiert.

(RP)
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