Drittliga-Kicker spielt mit Defibrillator Engelbrecht: "Ich hatte einen Puls von 300"

Nach vier Herzoperationen hat Daniel Engelbrecht 2014 sein Comeback gefeiert. Der Stürmer der Stuttgarter Kickers ist der erste deutsche Profifußballer mit einem eingesetzten Defibrillator. "Man weiß nie, wann es vorbei sein kann", sagte er im Interview.

 Daniel Engelbrecht ist seit seiner Herzmuskelentzündung auf einen Defibrillator angewiesen.

Daniel Engelbrecht ist seit seiner Herzmuskelentzündung auf einen Defibrillator angewiesen.

Foto: dpa, dm htf nic

Die Geschichte von Daniel Engelbrecht ist bewegend. Vor 17 Monaten trat bei dem Stürmer der Stuttgarter Kickers eine Herzmuskelentzündung auf. Seitdem wurde er viermal operiert, ihm wurde ein Defibrillator eingesetzt. Doch der 24-Jährige spielt wieder für den Drittligisten und hat seit seinem Comeback sogar schon zweimal getroffen. "Das Gefühl kann ich gar nicht in Worte fassen", sagte Engelbrecht in einem Interview und sprach zudem über Panikattacken, ein Leben mit dem drohenden Tod und eine ganze besondere Party.

Herr Engelbrecht, wie oft hören Sie seit dem Einsetzen des Defibrillators die Frage: "Darf ich die Stelle mal anfassen?"

Engelbrecht: Oft (lacht). Jeder aus meinem Umfeld, der das mitbekommen hat, konnte gar nicht glauben, das mir ein Defibrillator eingesetzt wurde. Die meisten dachten auch, den erkennt man gar nicht. Im ersten Augenblick war jeder geschockt, dass man ihn doch leicht erkennt.

Der Defibrillator wurde Ihnen am 18. Dezember des vergangenen Jahres eingesetzt. Haben Sie sich mittlerweile an ihn gewöhnt?

Engelbrecht: Für mich ist er schon noch ein Fremdkörper. Ich habe 23 Jahre ohne den Defibrillator gelebt, daher dauert es noch, bis ich sagen kann: "Er gehört dazu."

Sie haben einen Defibrillator-Schock im Januar vor einem Eingriff bei vollem Bewusstsein selbst miterlebt. Während der Operation müssen Herzrhythmusstörungen da sein, damit man sie lokalisieren und beheben kann. Sie haben diese Störungen im Treppenhaus des Hospitals dann mit Überanstrengung provoziert. Wie schwer ist es, den Defibrillator zu akzeptieren?

Engelbrecht: Da habe ich gemischte Gefühle. Mein Defibrillator ist einerseits mein Schutzengel, auf der anderen Seite verbinde ich damit das schlimmste Gefühl in meinem Leben. Ich wurde mit 830 Volt geschockt, hatte einen Puls von 300. Das ist schon Kammerflimmern, normalerweise sagt man da: "Mach's gut." Ich bin aber auf den Beinen geblieben, gar nicht ohnmächtig geworden, und in dem Moment, als ich zusammensackte, machte es einen Knall und ich flog zwei, drei Meter quer durch den Flur. Es hat sich angefühlt, als ob ich von innen verbrenne, als ob jemand in meinem Bauch ein Feuer entfacht. Mein ganzer Körper hat wehgetan, hat gezappelt.

Wie sind Sie mit diesem Erlebnis umgegangen?

Engelbrecht: Ich hatte noch Monate danach Panikattacken. Ich konnte nicht mehr schlafen, ich habe nachts halluziniert. Nächtelang habe ich wach gelegen. In dem Moment, als ich kurz vor dem Einschlafen war, bin ich immer zusammengezuckt, weil ich Angst hatte, dass mein Herz aufhört zu schlagen und mich der Defibrillator schocken muss.

Vertrauen Sie Ihrem Körper noch?

Engelbrecht: Als ich das erste Mal durch den Defibrillator geschockt wurde, weil die Herzrhythmusstörungen so stark waren, da habe ich einen Vertrauensverlust erlebt. Ich hatte so eine Riesenangst. Ich konnte dann nichts mehr alleine machen, es musste immer jemand bei mir sein. Es hat ewig gedauert, bis ich wieder sagen konnte: "Jetzt kannst du wieder selbstständig etwas machen." Nach der letzten Operation ging's mir dann um gefühlte 95 Prozent besser, das war wie eine Wiedergeburt. Es war, als ob ich wieder in meinem eigenen Körper drin wäre. Seitdem vertraue ich meinem Körper von Tag zu Tag mehr.

Der Tod ist für Sie ein allgegenwärtiges Thema.

Engelbrecht: Ich habe mich sehr intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt.
Nachdem ich geschockt wurde und das Leben, so wie man es aus Filmen kennt, in Bruchteilen von Sekunden an mir vorüberziehen gesehen habe, habe ich erst gemerkt, wie wertvoll das Leben und wie wichtig die Gesundheit ist. Man weiß nie, wann es vorbei sein kann. Seitdem sehe ich vieles auch lockerer.

Leben Sie seit der Diagnose intensiver?

Engelbrecht: Ich genieße jeden Tag, an dem ich trainieren kann, an dem ich spielen kann. Das ist für mich das Schönste überhaupt. Ich weiß viele Dinge noch mehr zu schätzen. Ich versuche anderen noch mehr zuzuhören, es ist alles intensiver geworden.

Sie haben seit Ihrem Comeback schon zweimal in Pflichtspielen wieder getroffen. Welche Bedeutung hatte Ihr erstes Tor?

Engelbrecht: Das war der emotionalste Höhepunkt in meinem Leben. Das Gefühl kann ich gar nicht in Worte fassen. Ich habe gespürt, wie sich alle mitgefreut haben, wie viele sogar mitgeweint haben. Für mich war das die Bestätigung, dass sich der Kampf gelohnt hat, dass nichts unmöglich im Leben ist. Es macht mich glücklich und stolz, dass ich der erste deutsche Fußballer bin, der so etwas mit einem Defibrillator geschafft hat. Ich habe auch viele Rückmeldungen von Menschen mit ähnlichen Problemen bekommen. Ich versuche ein Vorbild zu sein und ihnen in schwierigen Situationen Hoffnung zu machen.

Seit dem 16. Juni sind Sie ja wieder im Training und wurden zuletzt eingewechselt. Wo sehen Sie sich körperlich?

Engelbrecht: Fußballerisch sehe ich mich bei 65 Prozent, konditionell muss ich noch einiges aufholen. Ich nehme immer noch Medikamente, die langsam abgesetzt werden sollen. Sie bremsen mich noch. Wenn die weg sind, ist noch mehr Power da. Mein Ziel ist es, dass ich wieder auf 100 Prozent komme und dann auch wieder 90 Minuten spiele. Wann ist egal, Hauptsache ich komme da wieder hin.

Haben Sie für Weihnachten einen Wunsch?

Engelbrecht: Mein größter Weihnachtswunsch war, wieder gesund zu werden, und der ist in Erfüllung gegangen. Die letzten eineinhalb Jahre konnte ich weder an Geburtstagen noch an Weihnachten und Silvester mit meinen Freunden wirklich feiern gehen. Ich habe ihnen allen versprochen, dass wenn ich wieder gesund bin, wir Weihnachten und Silvester nachholen. Der ganze Abend geht jetzt auf mich.

(dpa)
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