MSV Duisburg Aus der Hölle zurück

Duisburg · Zwei Jahre nach der Lizenzverweigerung kehrt der MSV Duisburg durch einen 3:1-Sieg gegen Holstein Kiel in die Zweite Liga zurück.

MSV Duisburg feiert Zweitliga-Aufstieg
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MSV-Spieler feiern Zweitliga-Aufstieg

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Foto: Christoph Reichwein

Je zwei Ordner stehen dicht an dicht in den Strafräumen. Sie bewachen die Elfmeterpunkte. Nicht dass jemand auf die Idee kommt, sie auszugraben und als Souvenir für den Balkon mitzunehmen! Soll ja schon vorgekommen sein, wenn übermotivierte Fans den Innenraum eines Fußballplatzes erobern. Die vier Ordner erledigen ihren Job in der Duisburger Schauinsland-Reisen-Arena tadellos. Sie machen das jedenfalls besser als die Kollegen, die halbherzig versuchen, Tausende von Anhängern des MSV vom Platzsturm abzuhalten und besser als der Stadionsprecher, dessen niedliche Appelle "Zebras, bleibt hinter dem Zaun!" und "Kein Platzsturm! Danke!" im Aufstiegs-Jubeltrubel ungehört verhallt. Sie wissen, dass sie keine Chance haben.

Die Freude über den verdienten 3:1-Sieg gegen den direkten Konkurrenten Holstein Kiel und die Rückkehr in die Zweite Liga bricht sich Bahn. Aggressive Gesten in Richtung der Gästefans stören die Festtagsstimmung unnötig. Eine Polizistin wird von einer Leuchtrakete getroffen. Die Beamtin muss mit Brandverletzungen im Nacken von einem Notarzt versorgt werden, das Geschoss hatte sich in ihren Haaren verfangen. Sie verliert den Großteil ihrer Haare.

Die Spieler haben sich einstweilen in den Kabinentrakt zurückgezogen. Aus der MSV-Umkleide tönen Ballermann-Songs und Skihüttenlieder. Zwei etwas verschüchtert wirkende junge Leute füllen pausenlos Plastikbecher mit dem örtlichen Pils, das anschließend schnell im Rachen durstiger Spieler oder in den Frisuren von Sportdirektor Ivica Grlic und Trainer Gino Lettieri landet. Ersatzspieler Sascha Dum grüßt wie Prinz Karneval von einem Rollwagen, auf dem neue Fässer herangekarrt werden. Die Torschützen Michael Gardawski (2) und Enis Hajri, Vorbereiter Kingsley Onuegbu und Torhüter Michael Ratajczak, der nach seinem schweren Patzer beim 0:1 am liebsten im Boden versunken wäre, stehen im Mittelpunkt.

Der Entschluss, bis Donnerstag frei zu nehmen, die Fahrt zum abschließenden Spiel am komemnden Samstag beim SV Wehen-Wiesbaden als Betriebsausflug zu betrachten und zwischendurch für ein paar Tage nach Mallorca zu fliegen, reift schnell. Profi- und Kreisligafußball unterscheiden sich in solchen Momenten nur in Nuancen. Ob Erster oder Zweiter in der Abschlusstabelle? Egal! "Das ist nur Kosmetik", sagt Ivica Grlic. Selbstverständlich sind auch Aufstiegs-T-Shirts zur Hand. "Einmal Hölle und zurück", steht darauf. Der Spruch erzählt die komplette Geschichte der vergangenen zwei Jahre.

"Wir waren tot", sagt Bernard Dietz, "jetzt lebt der MSV wieder." Dietz - Klubikone, Europameister-Kapitän von 1980 und Vorstandsmitglied - betrachtet die Party distanziert und mit einem Lächeln, das tiefe Zufriedenheit ausdrückt. Ihm sind die Tage vor knapp zwei Jahren noch sehr präsent, als der MSV am Abgrund stand. Die Deutsche Fußball-Liga erteilte dem scheinbar hoffnungslos überschuldeten Revierklub 2013 keine Zweitliga-Lizenz. Vor der Geschäftsstelle hatten Fans einen Kranz niedergelegt. "Von Generationen gelebt, von Egoisten zerstört", stand auf einer Schleife. Grablichter leuchteten in der Nacht. Es war nicht ausgeschlossen, dass der Vizemeister von 1964 bis in die tiefesten Niederungen des Amateurfußballs hinunter muss. Doch Vorstand, Gönner und Fans haben die Wende geschafft. Die von Love-Parade-Katastrophe, Arbeitslosigkeit und Verschuldung geplagte Stadt versammelte sich hinter ihren "Zebras". Die Gläubiger verzichteten auf 80 Prozent des ihnen zustehenden Geldes, die Stadiongesellschaft mit der Stadt als Mehrheitseignerin reduzierte die Arena-Miete von 3,6 Millionen auf 900 000 Euro jährlich. Der MSV bekam wieder Luft.

MSV Duisburg: Fans stürmen nach Zweitliga-Aufstieg den Platz
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MSV-Fans stürmen nach Zweitliga-Aufstieg den Platz

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Foto: Martin Beils

"Die Konsolidierung wird noch mehrere Jahre dauern", weiß Präsident Ingo Wald, "in der Dritten Liga kannst du keine Schulden abbauen." Der Geschäftsführer eines Unternehmens für Messtechnik sieht keine Probleme darin, die Lizenz für die Zweite Liga zu bekommen. Zweitligisten bekommen im Schnitt sechs Millionen Euro aus dem TV-Vertrag, in der Dritten Liga sind es nur gut 600 000 Euro. Die Suche nach einem Trikotsponsor dürfte in der Zweiten Liga zudem einfacher werden. "Ich empfinde tiefe Dankbarkeit", sagt Wald, "hier wird auf lange Zeit niemand mehr die Bodenhaftung verlieren."

Doch es liegt in der Natur eines Vereins, der 28 Jahre in der Bundesliga verbracht hat und viermal im Finale des DFB-Pokalwettbewerbs stand, dass sich der Blick nach oben richtet. "Ich würde mich nicht dagegen wehren, wenn wir in der nächsten Saison dieselbe Rolle spielen wie Darmstadt 98 in dieser", sagt Wald. Darmstadt, RB Leipzig, FC Heidenheim - die Aufsteiger des Sommers 2014 haben sich auf Anhieb in der Zweiten Liga etabliert. Der Unterschied zwischen den Klassen drei und zwei scheint nicht mehr sonderlich groß.

Über konkrete Pläne, die Mannschaft zu verstärken, spricht Sportchef Grlic noch nicht öffentlich. Er arbeitet lieber im Verborgenen. Genau wie er das Projekt Aufstieg nur hinter verschlossenen Türen vertreten hatte. "Die Mannschaft wusste schon lange, was wir vorhatten", sagt er, "der Druck war riesig."

(RP)
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