MSV Duisburg kann heute aufsteigen Das Zebra in mir

Meiderich · Der MSV Duisburg kann heute in die 2. Bundesliga zurückkehren. Anlass für eine Liebeserklärung an den Klub.

MSV Duisburg: Fan-Marsch vom Hauptbahnhof bis zum Stadion
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Fan-Marsch der MSV-Fans vor dem Spiel gegen Kiel

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Es gibt für alles eine Erklärung. Nur ist diese nicht immer leicht. Etwa dafür, wie es sein kann, dass ich nun schon knapp 30 Jahre eine skurril anmutende Verbundenheit (vielleicht auch Schicksalsgemeinschaft mit Anzeichen von Abhängigkeit) zu jenem Klub pflege, der heute MSV heißt und früher Meidericher Spielverein genannt wurde - benannt nach jenem Duisburger Stadtteil, den man besser mit vollem Tank durchfährt.

Dennoch sind wir damals jugendlich forsch mit unseren Rädern zur Westenderstraße gegurkt, um mit ein paar Stahlwerk- und Bergbau-Rentnern dem Training zuzuschauen. Auch kann ich mich noch daran erinnern, dass ein mickriges Bäumchen vor der Geschäftsstelle in den Zebra-Streifen Weiß und Blau angestrichen war. Was wir peinlicherweise ziemlich cool fanden.

Wo beginnen? Am besten - wie immer bei solch existenziellen Fragen - mit der Psyche eines Fans. Dazu gibt es einen oft zitierten, bis heute nicht widerrufenen und darum offenbar letztgültigen Merksatz: Seinen Verein sucht man sich nicht aus. Aber es sind immer dieselben, die das sagen. Nämlich jene, die aus verhaltensoriginellen Gründen ihr Herz an einen der Kleinen und Gebeutelten im Fußball verschenkt haben. Zu einem Bayern-Fan passt eine solche Schicksalsgemeinschaft definitiv nicht. Weil ein Bayern-Fan sich seine Bayern selbst ausgesucht hat. Und sein Kriterium war nichts anderes als der pure Erfolg. Dass die Münchner in jüngerer Vergangenheit mit einer imposanten Folge von Niederlagen auf sich aufmerksam machten, tut nichts zur Sache. Weil es bloß ein Vorwand ist, mit dem sie uns vorgaukeln, dass auch sie fehlbar sind.

Der kultivierte Bayern-Grimm gehört zur MSV-Fan-Grundausstattung. Bis heute wirkt er identitätsstiftend. Wahrscheinlich habe ich den Bayern sogar mein Erweckungserlebnis zu verdanken. Das war am 5. November 1977, an dem ich als junger Gymnasiast über die rostige Hochfelder Eisenbahnbrücke auf die rechte Rheinseite radelte. Schon aus der Ferne waren die damals hohen Flutlichtmasten des Wedaustadions zu sehen. Landmarken unseres Samstagnachmittagsglücks. Zu oft aber erwiesen sich die Masten nach 90 Minuten als Kreuze auf dem Berg Golgatha.

Zu Gast waren die Bayern, und die Bude war rappelvoll - für Duisburger Verhältnisse jedenfalls: 20 000 waren gekommen. Und wie bei jedem großen Drama nahm es einen zunächst unguten, angesichts der Kräfteverhältnisse aber nicht unerwarteten Verlauf. Zur Pause lagen die Münchner durch einen von Gerd Müller verwandelten Foulelfmeter in der 44. mit 2:1 vorn. Und "kleines dickes Müller" brachte die Bayern nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich in der 57. erneut in Führung. Dann folgten die unglaublichsten neun Minuten meines an Ungeheuerlichkeiten nicht sonderlich reichen MSV-Lebens. Das heißt: Zwischen der 76. und 85. Minute fielen vier MSV-Treffer zum 6:3. Zwei davon schoss damals ein Außenverteidiger; der hieß Bernard Dietz, wurde Ennatz genannt und war ein Kuriosum für Duisburger Verhältnisse: Er war ein echter Nationalspieler. Auf der anderen Seite standen dafür Weltmeister auf dem Platz - neben Müller noch Sepp Maier und Katsche Schwarzenbeck.

Solche Sternstunden gab es nicht oft. Der MSV verkörpert die klassische Mittelmäßigkeit, mit dem Zeug zu angedeuteten Großtaten und der weit beständigeren Neigung zu dramatischen Abstürzen. Dass die Meidericher - immerhin ein Gründungsverein der Bundesliga und im ersten Jahr gar Vizemeister - das sogenannte Oberhaus je verlassen würden, blieb undenkbar. Bis 1982. Dunkle Zeiten brachen damals an und konnten fortan - trotz einiger Lichtblicke zwischendurch - das Schreckgespenst von der finalen Bedeutungslosigkeit nie mehr ganz verdrängen.

Ein paar Erinnerungen an große Zeiten bleiben dennoch, vor allem an Spielertypen wie Rudi Seeliger. Ein Stürmer mit großer Qualität und leider noch größerem Freigeist. An guten Tagen konnte Ruuuudi (wie wir ihn riefen) Großtaten vollbringen. An schlechten Tagen aber hielt er sich vornehmlich an der Mittellinie auf und signalisierte seinen Mitspielern, dass er nicht unbedingt angespielt werden wollte. Wahrscheinlich sei er am Abend vorher wieder im Club soundso gewesen, sagten dann die älteren Fans. Und obwohl wir, die Schüler, noch nie von einem Club soundso gehört und zudem auch keine Ahnung hatten, was der Club soundso überhaupt sein könnte, nickten wir nur. Ja, ja, der Rudi.

Zurückblickend (die Lieblingsbeschäftigung eines MSV-Fans) kommt mir noch ein anderer Bayern-Tag in den Sinn, der zugleich ein Wesenszug der Zebras, dem ewigen Zweiten, offenbart: das DFB-Pokal-Finale von 1998, das die Bayern mit dem üblichen Bayern-Dusel mit 2:1 und einem brutalen Foul gegen MSV-Stürmer Bachirou Salou für sich entschieden. Aber zu dieser Zeit fuhr ich schon nicht mehr ins Stadion, wie jeder halbgescheite MSV-Anhänger, der in der Regel zu übermäßigem Mäkeln neigt und es mit der Stadiontreue gerade in grauen Zeiten nicht allzu ernst nimmt. Nur die Bindung verliert man lebenslänglich nicht. Und so verfolge ich Wochenende für Wochenende öfters nur aus der Ferne das Schicksal unserer Zebras.

Wie auch jetzt in der Dritten Liga mit Spielen gegen Borussia Dortmund und den VfB Stuttgart, allerdings sind das die Zweitvertretungen. Dennoch: Es scheint mal wieder aufwärts zu gehen, wenigstens in die Zweite Liga. Und heute das Endspiel gegen Holstein Kiel. Ausverkauft ist die Arena, die wie alle größeren Stadien irgendwann ihre Laufbahn verloren hat. Der MSV aber ist nicht gut in Endspielen. Und die Unke in mir sagt, dass es möglicherweise heute nicht so glorreich ausgehen könnte wie wir alle jetzt schon wieder zügellos hoffen.

(RP)
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