EM-Eklat So kaputt ist Kroatiens Fußball

Saint-Etienne · Kroatische Fans haben immer wieder für Skandale gesorgt. Am Freitagabend führten dann Bengalische Feuer auf dem Spielfeld und Schlägereien auf der Tribüne zur Unterbrechung eines EM-Spiels. Wer das verstehen will, muss die Zustände im kroatischen Fußball kennen.

EM 2016: Kroatische Anhänger werfen Bengalos auf Ordner
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Kroatische Anhänger werfen Bengalos auf Ordner

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Foto: afp

Darijo Srna war der Erste, der nach diesem Skandalspiel in die Kabine floh. Der Kapitän der Kroaten hatte nach dem Tod und der Beerdigung seines Vaters ohnehin schon eine ganz harte Woche hinter sich. Im Stadion Geoffroy-Guichard von Saint-Etienne musste Srna den nächsten Schock verkraften. "Das ist der schwierigste Tag meiner Karriere", gestand er unter dem Eindruck der hässlichen Bilder aus dem kroatischen Fanblock.

Skandal auf der großen Bühne

Die Uefa nahm noch am Samstag ihre Ermittlungen auf und wird vermutlich harte Strafen gegen die Kroaten aussprechen. Verhandelt wird der Fall am Montag. Kroatiens Fans hatten am Vorabend für die Unterbrechung des EM-Spiels gegen Tschechien gesorgt. Sie warfen Bengalische Feuer und Knallkörper auf das Spielfeld, sie lieferten sich untereinander wüste Schlägereien auf der Tribüne - und setzten damit auf der großen Bühne dieser Europameisterschaft fort, was sie in den vergangenen Monaten schon an Skandalen ausgelöst hatten.

Die große Frage ist, ob sich das hochveranlagte Team bei dieser EM noch einmal von diesem Abend erholt. Denn unter dem Eindruck der vierminütigen Unterbrechung kassierten die Kroaten nach einer 2:0-Führung noch den Ausgleich zum 2:2-Endstand. Ihr bester Spieler Luka Modric saß da zu allem Überfluss schon verletzt auf der Bank. Die Selbstzerstörungskräfte des kroatischen Fußballs scheinen wieder einmal stärker zu sein als das große Talent seiner Spieler.

Trainer Ante Cacic verurteilte die Vorfälle als "Schande vor den Augen ganz Europas. Ich nenne das eine Art von Terror", sagte er. Aus Sicht der Uefa sind die Kroaten bereits mehrfach vorbestraft. Zuschauerausschlüsse, Geldstrafen und sogar ein Punktabzug in der EM-Qualifikation: Das hat es alles schon gegeben.

  • November 2014: Das Qualispiel in Italien steht kurz vor dem Abbruch, weil kroatische Fans mehrfach Feuerwerkskörper zünden.
  • März 2015: Beim nächsten Heimspiel gegen Norwegen stimmen die Anhänger rassistische Gesänge an.
  • Juni 2015: Vor dem Rückspiel gegen Italien präparieren Fans das Spielfeld so, dass darauf ein großes Hakenkreuz zu sehen ist.
  • März 2016: Bei zwei Freundschaftsspielen gegen Israel und Ungarn sind erneut diskriminierende Gesänge zu hören.

"Wer gibt ihnen das Recht, Modric, Rakitic und Perisic dieses Turnier zu stehlen?", titelte die Zeitung "Vecernji List" am Samstag. Denn das Verstörende am Vorgehen dieser Fans ist, wie offenbar gezielt sie die Spiele des eigenen Teams sabotieren. Wäre es bloß um die Ausübung nackter Gewalt gegangen, wäre die Randale womöglich nach der Partie weitergegangen. Doch im Zentrum von Saint-Etienne blieb alles ruhig.

Und so sind sich alle Experten und Beobachter einig, dass es den Anhängern primär um eines geht: Dem eigenen, vermeintlich korrupten und mafiösen Verband zu schaden und ihn wieder und wieder vor aller Öffentlichkeit zu diskreditieren. Das ist ihnen offenbar wichtiger als der Erfolg des kroatischen Team selbst bei einem großen Turnier.

Zdravko Mamic — der Pate

Die skandalösen Verhältnisse im kroatischen Fußball sind mittlerweile gerichtsfest. So steht Zdravko Mamic, langjähriger Präsident des Serienmeisters Dinamo Zagreb und Vizepräsident des Verbandes HNS, unter der Anklage, jahrelang beim Transfer von Dinamo-Spielern ins Ausland in die eigene Tasche und an der Steuer vorbei gewirtschaftet zu haben. Mamic gilt als "Pate" und mächtigste Figur des kroatischen Fußballs. Sogar der frühere Weltklassestürmer Davor Suker an der Spitze des HNS wird nur als Marionette des 56-Jährigen angesehen.

Die eigentlich tief verfeindeten Fans von Dinamo, Hajduk Split oder NK Osijek sind sich nur in einem einig: In ihrer Ablehnung von Mamic und auch Suker. In Saint-Etienne kamen zahlreiche Anhänger mit T-Shirts ins Stadion, auf die durchgestrichene Fotos von Mamic oder durchgestrichene Logos des HNS gedruckt wurden.

Unklar ist nur noch, wer die brennenden Fackeln auf den Rasen warf und wer anschließend im Fanblock auf wen losging. Die meisten Beobachter sprachen zunächst von Ultras aus Split als Auslöser der Randale. "Spiegel Online" veröffentliche am Samstag aber einen vermeintlichen Bekenner-Post einer Fangruppe von Dinamo Zagreb.

Spielmacher Ivan Rakitic vom FC Barcelona sprach nach dem Skandal einen flehentlichen Appell aus. "Wir müssen zusammenhalten wie eine Familie. Wenn wir das tun, kann uns niemand besiegen", sagte er. Nur hat am Freitagabend noch einmal jeder gesehen, dass der kroatische Fußball keine Familie ist.

(dpa)
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