Auf Stimmungssuche in Belgien Teuflische Nachbarn

Eupen · Belgien startet am Montag mit dem Duell gegen Italien ins Turnier. In Eupen hält sich die Vorfreude bei Fans in Grenzen. Ein Ortsbesuch.

Die Rechnung ist simpel. Bestelle vier Eupener Pils und bekomme eine schwarz-gelb-rote Fan-Perücke gratis. So suggeriert es zumindest das Werbeplakat, das über der Bar des "Café Columbus" im Stadtzentrum klebt. Die Strategie des Wirts scheint aber (noch) nicht aufzugehen. Weder sieht man Menschen mit Perücken in den Nationalfarben durchs Eupener Stadtzentrum flanieren. Noch spürt man so etwas wie große Vorfreude auf die Europameisterschaft in Frankreich, die für die "Rote Teufel" genannte Nationalmannschaft Belgiens heute mit der Partie gegen Italien (21 Uhr/Live-Ticker) beginnt. Für das Public Viewing in der belgischen Kleinstadt waren Stand gestern gerade einmal 250 Karten verkauft worden. 2014, als Belgien bei der WM erst im Viertelfinale an Argentinien scheiterte, versammelten sich dort zu den Spielen der Auswahl des Königlichen Belgischen Fußball-Verbands regelmäßig über 1000 Menschen zum Rudelgucken. "Noch ist kaum jemand hier in EM-Stimmung", sagt der Wirt des "Café Columbus" und zuckt leicht ratlos mit den Achseln. "Vielleicht ändert sich das ja, wenn wir Italien zum Auftakt 3:0 schlagen."

Dass der Wirt seinen Gästen auf deutsch antwortet, ist in dem ostbelgischen Städtchen normal. Ein großer Teil der etwa 76.000 Menschen umfassenden deutschsprachigen Minderheit im Nachbarland lebt in dem 19.000-Einwohner-Grenzort zwischen Aachen und Lüttich. So auch Hans Müller. Wie jeden Sonntag hat er Platz am Tisch im "Café Columbus" genommen. Müller, so macht es den Eindruck, kennt jeden Besucher, der die nach frisch gebrühtem Kaffee duftende Gaststätte betritt, persönlich. "Unser Trainer Marc Wilmots hat es geschafft, aus Flamen und Wallonen ein Team zu bilden", sagt er voller Bewunderung und nippt genüsslich an einem Glas Rotwein. Auch für das Turnier in Frankreich sei genau das der Schlüssel zum Erfolg: eine Einheit bilden. Unrealistische Erwartungen hat Müller nicht an sein Team. "Wenn wir unter die ersten Vier kommen, wäre das ein großer Erfolg."

Nicht alle belgischen Fußball-Fans dürften mit dieser Haltung einverstanden sein. Wenn heute Abend in Lyon die Brabançonne, die belgische Nationalhymne, ertönt, lastet ein selten zuvor da gewesener Erfolgsdruck auf der belgischen Auswahl. Erstmals in ihrer Geschichte startet die Mannschaft, die die EM 2012 nach verpasster Qualifikation noch als Zuschauer verfolgte, als Weltranglistenzweiter in ein Turnier.

Nahezu alle Fußballer Belgiens stehen bei internationalen Top-Klubs unter Vertrag. Das Gros der Wilmots-Schützlinge verdient sein Geld in England oder Italien. Die Angreifer Christian Benteke und Divock Origi stürmen etwa für Jürgen Klopps FC Liverpool. Mittelfeld-Ass Kevin De Bruyne wechselte erst zu Beginn der vergangenen Bundesliga-Saison für mindestens 74 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg zu Manchester City. Torwart Thibaut Courtois, Eden Hazard (beide FC Chelsea) und Romelu Lukaku (FC Everton) könnten zu Stars der EM werden. In Christian Kabasele steht sogar ein Kicker im Kader der Belgier, der noch vor zwei Jahren beim ortsansässigen Klub KAS Eupen gegen den Ball trat. Viel Spielzeit wird der in Zaire geborene Verteidiger trotz Verletzungssorgen im Defensivbereich aber eher nicht erhalten.

Sollte Wilmots es schaffen, die Nationalmannschaft des vom Terror geplagten und innerlich zerrissenen Landes (flämisch-wallonischer Konflikt) zu einer Einheit zu formen, ist der Titel durchaus denkbar. Immer wieder betont der frühere Schalke-Profi, der in seiner Heimat als einer der prominentesten Befürworter der Einheit gilt, dass sein Team das ganze Land repräsentiert. Auch finanziell würde sich der Schulterschluss lohnen - für den Titelgewinn hat der Verband die Rekordprämie von 704.000 Euro pro Spieler ausgelobt.

Und sollte Belgien wider Erwarten doch schon früher ausscheiden? "Dann halten wir halt zu den Deutschen oder den Franzosen. Wir sehen das nicht so bierernst", sagt Müller scherzhaft, leert sein Rotweinglas und verlässt das "Café Columbus".

(sb)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort