EM-Halbfinale Warum der Shitstorm gegen Schiedsrichter Rizzoli respektlos ist

Düsseldorf · Nicola Rizzoli hat die Geschichte des deutschen Fußballs in den vergangenen Jahren eng begleitet. Der Italiener ist kein Dokumentarfilmer, sondern Schiedsrichter. 2013 pfiff er das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. 2014 leitete er das WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien. Am Donnerstag war er schließlich im EM-Halbfinale im Einsatz, das Deutschland 0:2 gegen Frankreich verlor.

EM 2016: Reaktionen zum Elfmeter-Pfiff von Schiedsrichter Rizzoli
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Reaktionen zum Elfmeterpfiff von Rizzoli

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Foto: dpa, mr

Ein durch Bastian Schweinsteiger verursachter Handelfmeter brachte eine überlegene deutsche Mannschaft am Ende der ersten Halbzeit auf die Verliererstraße. 100 Prozent Zustimmungsrate erreichte Rizzoli mit seiner Entscheidung freilich nicht, aber Experten — offizielle wie selbsternannte — waren sich mehrheitlich einig, dass a) der Kopfball Patrice Evras an Schweinsteigers Hand ging und b) Schweinsteigers Hand auf Höhe des Kopfes seines Gegners nichts zu suchen hatte.

Trotzdem geriet Rizzoli in den sozialen Netzwerken in einen Shitstorm, für den in erster Linie die Tatsache verantwortlich war, dass er aus Italien kommt. Stellvertretend für viele andere sei ein Tweet zitiert, dessen Urheber aus seinen Ressentiments gar keinen Hehl macht.

Doch woher kam all der Hass? Teile der Beschwerdeführer rieben sich an Rizzolis Leistung im WM-Finale 2014. Damals hatte er — von argentinischer Seite jedoch — viel Kritik einstecken müssen, weil er Manuel Neuers Rammbock-Einsatz gegen Stürmer Gonzalo Higuain nicht geahndet hatte. Elfmeter und Rot wäre damals eine harte, aber vertretbare Entscheidung gewesen. Allerdings war es beileibe nicht so, dass die deutsche Mannschaft keinerlei Gründe gehabt hätte, sich zu beschweren. Noch Sekunden vor dem umjubelten Abpfiff wurde Schweinsteiger zum wiederholten Mal rüde gefoult. Er sah aus wie ein angeschlagener Boxer.

Dann wäre da noch die Tatsache, dass Deutschland am vergangenen Samstag Italien aus dem EM-Turnier geworfen hat. Ein Unparteiischer aus dem Land des unterlegenen Teams — für viele ein No-Go. Zudem reiben sich einige (die genaue Quote ist schwierig zu bemessen, aber der Aufruhr war beachtlich) an der Tatsache, dass Schiedsrichter-Boss Pierluigi Collina ebenfalls aus Italien kommt.

Die Rache-Theorie ist jedoch hanebüchen. Generell wird es problematisch, wenn die Integrität eines Unparteiischen per se in Frage gestellt wird. Zudem hat die Fußball-Geschichte (und nicht nur die) bereits so viele bedeutende Duelle in allen möglichen Konstellationen gesehen, dass es immer Raum für Verschwörungstheorien geben müsste. Auf dem Weg zum WM-Titel 1998 besiegten die Franzosen zum Beispiel die Italiener im Elfmeterschießen. Zwei Jahre später führte Italien im EM-Finale bis in die Nachspielzeit, dann glich Frankreich aus und holte sich den Titel durch das Golden Goal David Trezeguets.

Rizzolis Zweikampfbewertung mag nicht immer ausgewogen gewesen sein am Donnerstag. Die spielentscheidenden Szenen bewerteten der 44-Jährige und sein Team jedoch korrekt. Der Shitstorm in den sozialen Netzwerken schießt also deutlich über das Ziel hinaus.

Unterstützung erhalten die wütenden Kritiker jedoch von einem prominenten Ex-Schiedsrichter. "Ich habe schon im Vorfeld gesagt, dass dies eine sehr unglückliche Entscheidung war. Wenn man gegen Deutschland ausscheidet und fünf Tage später pfeift ein italienischer Schiedsrichter das deutsche Spiel, dass das Diskussionen mit sich bringt, die man nicht haben muss, ist klar", sagte Bernd Heynemann, der bei der WM 1998 pfeifen durfte, im Gespräch mit Sport1.

Am einfachsten wäre es unterm Strich wohl gewesen, Rizzoli das Spiel zwischen Portugal und Wales pfeifen zu lassen und den Schweden Jonas Eriksson nach Marseille zu schicken, um Deutschland gegen Frankreich zu leiten. Eine leidige Diskussion wäre ausgeblieben — und ein paar in der Wortwahl bedenkliche Tweets allen erspart geblieben.

(jaso)
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