Deutschland gegen Nordirland Härtetest im Prinzenpark

Paris · Die deutsche Elf trifft heute in Paris bei der EM auf einen unangenehmen Gegner. Die Nordiren verteidigen zur Not mit Mann und Maus.

Joachim Löw krank: Erkältet leitet er das Abschlusstraining bei Regen
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Erkälteter Löw leitet Training bei strömenden Regen

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Foto: ap, PRO

Europameister werden sie wohl doch nicht. Aber Eindruck haben die Nordiren bei dieser EM schon gemacht, mächtig Eindruck. Nicht nur als unerbittliche Kämpfer, sondern auch durch einen 2:0-Erfolg über die Ukraine, den nicht jeder erwartet hatte. Und vor allem durch ihren Gesang. Rechtzeitig zur EM in Frankreich hat ein Fan dem Stürmer Will Grigg ein Lied gewidmet, er textete die Disko-Hymne "Freed from Desire" in "Will Grigg's on Fire" um. Der Stürmer, der Wigan Athletic mit 25 Toren in die zweite englische Liga schoss, ist nicht der einzige, der für sein Land in Flammen steht. Und die Fans singen das Lied überall. Es existieren Videos, die zeigen, wie Fangruppen den Will-Griggs-Song im Flugzeug über Frankreich zum Besten geben und dabei ordentlich herumspringen. Ängstlichere Gemüter hätten bestimmt an der Flugtauglichkeit der Maschine gezweifelt.

Nordirlands Stärke ist die Kampfkraft

Aber ängstlich sind die Nordiren nicht. Davon wird sich am Donnerstag (18 Uhr/Live-Ticker) der Weltmeister sein Bild machen können. "Sie haben eine unglaubliche Kampfkraft", sagt der deutsche Trainer Joachim Löw, "sie spielen mit wahnsinnig viel Energie, klar. Und sie verteidigen genauso gut wie die richtig guten Mannschaften." Einen Spaziergang erwartet Löw nicht. Da ist er sich mit seinem Angreifer Thomas Müller einig. "Natürlich würden wir gern ein Schützenfest abfeuern", erklärt der Münchner, "aber, ehrlich gesagt, erwarte ich das nicht."

Was ihn erwartet, ließ der Bundestrainer auf dem Trainingsplatz simulieren. Fünf gelbe Plastikhindernisse verteilte Löw auf einer Linie ungefähr 30 Meter vor dem Tor. Da war der Platz für Kombinationen schon eng, obwohl sich die Kunststoff-Verteidiger noch weniger bewegten als deutsche Abwehrrecken in den späten 1990er Jahren. Löws Offensive bekam einen ersten Eindruck von der nordirischen Taktik. Und sie darf annehmen, dass die Jungs von der grünen Insel im Bedarfsfall gar nichts dabei finden, mit sechs Mann auf der hinteren Linie zu verteidigen. Dabei hauen sie nach guter, alter Inselsitte ihre Körper voller Leidenschaft in jeden Zweikampf. Für sie gilt, was viele Jahre im Ausland voller Unbehagen über die Deutschen gesagt wurde: "Die hast du erst geschlagen, wenn sie im Mannschaftsbus sitzen."

Natürlich geht die DFB-Auswahl als hoher Favorit in die letzte Gruppenbegegnung. Das bestreitet weder Müller noch Löw. Der Trainer allerdings warnt davor, die fußballerische Überlegenheit als Freiflugschein zum deutlichen Erfolg zu betrachten. "Die Nordiren sind schon auch gefährlich bei ihren Standards und durch ihre Kopfballstärke", sagt er. Einen Mangel an Leidenschaft und Einstellung zu diesem Gegner können sich selbst seine gekrönten Fußball-Häupter nicht erlauben.

Vielleicht haben die Spieler diese Lektion in den zum Teil mühsamen Auftritten gegen die Ukraine und Polen gelernt. Und möglicherweise können sich einige ans Frühjahr erinnern, als die Mannschaft in Irland, beim Bruder der Nordiren, allzu leichtfertig auftrat und 0:1 verlor.

Es ist nur bedingt beruhigend, dass die Spieler bei sich keinen Mangel an grundsätzlich richtiger Einstellung zu Partien gegen die sogenannten Kleinen entdecken können. "Wir sind Profis", versichert Müller, als wenn das schon alles sagen würde. Immerhin aber sieht er die Sache wohl differenzierter als so mancher Kollege. "Auch wenn man alles gibt, muss nicht immer alles gelingen", erklärt er, "Fußball ist ein komplexes Spiel, schließlich ist ja auch noch der Gegner da." Nicht jeder schöne Plan, meint Müller, muss sich in die Tat umsetzen lassen, nur weil er so schön ist.

Tempo hochhalten, Abschlüsse suchen

Einen Plan aber haben die Deutschen selbstverständlich. Löw hat mehrmals dazu aufgerufen, mehr in die vielzitierten Laufwege zu investieren, das Tempo hochzuhalten und Abschlüsse zu suchen. Und er sagt: "Wenn wir glauben, denen aus dem Halbfeld Flanken hereinschlagen zu müssen, dann spielen wir ihnen in die Karten."

Wer "denen" nicht in die Karten spielen soll, gibt Löw nicht preis. Viele werden es nicht sein. Rechtsverteidiger Benedikt Höwedes hat er so etwas wie eine Garantie ausgestellt ("er bringt schon auch die defensive Stabilität"). Mario Götze hat er so ausdrücklich gelobt, dass er wohl wieder die falsche Neun im Angriff geben wird. Und Mesut Özils Qualitäten hebt Löw ebenfalls so deutlich hervor, dass er sicher wieder spielen wird. Das einzige dicke Fragezeichen: Wer spielt links vorn? Julian Draxler hat da bisher eher unterkühlte Auftritte geboten. Über ihn würde jetzt kein Fan im Lied behaupten, er stehe in Flammen.

(pet)
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