Noch ohne Gegentreffer Manuel Neuer — ein Gebirge im Torhüter-Trikot

Evian · Manuel Neuer ist Torwart und Libero in Personalunion bei der deutschen Nationalmannschaft. Noch hat er bei dem Turnier in Frankreich keinen Gegentreffer hinnehmen müssen.

Manuel Neuer: Weltmeister, DFB-Kapitän und Welttorhüter im Porträt
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Das ist Manuel Neuer

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Manuel Neuer hat eine leichte Allergie. Das hört man. Deutschlands Torwart näselt ein wenig. Sonst stört ihn allerdings nichts vor dem EM-Achtelfinale gegen die Slowakei (Sonntag,18 Uhr/Live-Ticker) in Lille. Schließlich geht er ohne Gegentor aus der Vorrunde, was im ersten Spiel gegen die Ukraine hauptsächlich an ihm selbst und mehreren bemerkenswerten Paraden lag. In den folgenden Begegnungen mit Polen und Nordirland "haben wir sehr gut geschlossen und mannschaftlich verteidigt", wie Neuer urteilt.

So darf es nach seiner Einschätzung gerne weitergehen. "Wenn die Null steht, dann freut das einen Torwart", sagt er. Und es verschreckt ihn nicht übermäßig, dass er als Letzter in der Kette der Torverhinderer dafür Sorge tragen soll, "dass wir unseren Job auch weiterhin so erledigen".

Er kennt Situationen wie jene, die ihm in den Gruppentreffen mit Polen und Nordirland begegnet sind. Er musste keinen ernsthaft gefährlichen Ball halten, aber er musste immer damit rechnen, dass es doch mal so weit kommen könnte. Darauf ist er als Schlussmann von Bayern München besonders gut vorbereitet. Weil der deutsche Abomeister in der Bundesliga vom größten Teil der Gegner mit Angriffen weitgehend verschont wird, muss Neuer sich darauf konzentrieren, buchstäblich auf die Sekunde hellwach zu sein. Er kann das. Der französischen Zeitung "Le Parisien" hat er dieser Tage sein kleines Geheimnis enthüllt: "Auch wenn der erste Ball erst in der 70. Minute auf mich zukommt, muss ich so viel Autorität ausstrahlen, dass ich dem Stürmer Angst mache. Diese Autorität zu haben, ist auch ein Grund für das Vertrauen meiner Mitspieler in mich."

Neuer verkleinert das Tor

Und so erzeugt er diese Autorität: Neuer gehört zu den Torhütern, die danach trachten, ihre ganze Hälfte zu beherrschen. Sie wachsen regelrecht an dieser Aufgabe, und sie sehen dann noch größer aus, als sie ohnehin schon sind. Sie werden zu kleinen Gebirgen im Torhüter-Trikot, und sie scheinen das Tor für die Angreifer zu verkleinern. Wenn sich 1,93 Meter Neuer in ihrer Zone noch mal so richtig breit machen, dann gerät das Ziel für Stürmer schnell aus dem Blick. Das ist genau so geplant. Einer wie Neuer macht Eindruck, und das will er auch.

Weil der deutsche Nationaltorwart seinen Beruf extrem offensiv interpretiert und seinen Arbeitsplatz überall in der eigenen Hälfte des Spielfelds sieht, ist sein Spiel auch ein Spiel mit (kalkuliertem?) Risiko. Seine Ausflüge als "Manu, der Libero" lassen das Publikum schon mal aufschrecken, und sie sind in der Bundesliga gelegentlich auch ins Auge gegangen, aber sie gehören zum Gesamtkunstwerk Neuer. "So ist er, das darf man ihm nicht nehmen, und es macht mich auch nicht nervös", stellte Andreas Köpke, der Bundestorwarttrainer, nach Neuers denkwürdigem Achtelfinal-Auftritt bei der WM gegen Algerien fest.

Da war der Bayern-Tormann mehr als eine Halbzeit lang links und rechts durch die deutsche Verteidigungszone gestürmt, hatte mit wagemutigen Tacklings freilaufende Algerier vor dem Alleingang zum deutschen Tor gestoppt, war zum Kopfball mindestens 20 Meter weit durch die Luft geflogen, hatte den Ball unters Tribünendach in Porto Alegre gehauen oder einfach nur 70 Meter quer über den Platz. Die Welt staunte über diesen gewaltigen Torhüter, der sich so gar nicht mit seinem vermeintlich natürlichen Lebensraum begnügen wollte, der von der Sechzehnmeter-Linie begrenzt wird. Über den Bayern-Torwart, der sogar tief in der gegnerischen Hälfte Druck machen kann, hätte sie noch mehr gestaunt. Er selbst sieht das ganz nüchtern. Er sagt: "Ich versuche immer, der Mannschaft zu helfen."

Für ihn macht es keinen großen Unterschied, ob er das in der Meisterschaft oder auf der internationalen Bühne tut. "Eine gewisse Drucksituation ist immer da", räumt er kühl ein. Das gehört zur Jobbeschreibung. Und er sieht da gar keinen grundsätzlichen Unterschied zum Arbeitsprofil seiner Mitspieler. "Wir sind alle Profis", sagt Neuer, "und wir sind eine Mannschaft, die sich auf den Punkt konzentrieren kann."

Das hat sie im ersten Gruppenspiel bewiesen, als sie nach einer Chaos-Phase kurz vor dem Wechsel das Spiel nach der Pause abgeklärt nach Hause brachte. Da hatte offenbar jemand den richtigen Knopf gedrückt.

Der Trend spricht jedenfalls für die DFB-Auswahl. Das sieht der Welttorhüter mit großem Wohlgefallen. Dass er mit einem weiteren Spiel ohne Gegentor kurz vor der Einstellung einer Bestleistung in der deutschen Länderspielgeschichte stünde, beeindruckt ihn nicht. "Wir sind keine Rekordjäger", erklärt der Tormann lässig, "wir versuchen, Ergebnisfußball zu spielen." Ende der Durchsage.

(pet)
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