EM-Tagebuch Vielleicht bin ich ja gar kein Baguette...

Die französische Frühstückskultur weiß doppelt zu gefallen. Lukullischer Genuss auf der einen, überraschende Ähnlichkeiten mit den Charakteren des DFB-Teams auf der anderen Seite.

 RP-Sportchef Robert Peters berichtet aus Frankreich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet aus Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Ich bin jetzt endlich angekommen. Um meinen Hals baumelt nämlich die Akkreditierung, ein blau-gelbes Stück Pappe in einer Klarsichthülle. Darauf ist mein Name gedruckt, und in der Ecke trägt die Pappe ein Foto, das entfernte Ähnlichkeit mit mir haben soll, wie Kollegen glaubhaft versichern. Die Pappe macht mich zum Teil dieser Veranstaltung, und wahrscheinlich geht's mir bald wie dem Städtchen Evian, dessen "Zentrum im Rhythmus der Euro schlägt", wie es auf Werbeblättchen heißt. Den Kalauer mit "im Zentrum des Euro" erspare ich mir natürlich.

Mein Zentrum schlägt inzwischen zumindest im Rhythmus der französischen Frühstückskultur. Es bleibt ihm ja nichts anderes übrig. Ich trinke morgens eine Badewanne voll Kaffee, erliege unverzüglich dem Charme gerösteten und nichtgerösteten Baguettes und beschließe den kulinarischen Rundgang mit einem Croissant. Ich bin bereits derart eingebürgert, dass ich mich mühsam davon abhalten muss, das Croissant gedankenlos in der Kaffee-Badewanne zu versenken. So frankophil soll's denn doch nicht werden.

Diese Frühstücksform hat sich in Jahrhunderten herausgebildet und gegen viele Moden behauptet. Und sie hat enorme Vorteile. Sie erspart die Ratlosigkeit vor der sinnlosen Vielfalt eines Büffets, sie hilft peinliche Missgriffe ins Lebensmittelsortiment zu vermeiden, und sie macht das Leben sozusagen von Anfang an berechenbar. Das ist schön, denn es befreit den Geist, der sich schon früh am Tag den wesentlichen Grübeleien widmen darf.

Über den Fußball zum Beispiel. Das klassische französische Frühstück bietet gerade dem gebildeten Begleiter der deutschen Nationalmannschaft die entscheidenden Werkzeuge der taktisch-personellen Analyse an die Hand. In diesem Frühstück kann man lesen.

So gibt es irgendwann im Laufe der Mahlzeit sicher ein zerknautschtes Butterpäckchen. Es erinnert nicht nur von weitem an den gequälten Gesichtsausdruck von Mesut Özil, wenn ihm wieder mal ein böser Verteidiger auf den Schuh gestiegen ist. Selbstverständlich platziere ich das Päckchen im Mittelfeld des Frühstückstischs. In einem kleinen Anfall von Bosheit krümele ich ein bisschen Baguette drüber. Das Özil-Butterpäckchen schaut noch gequälter aus.

Das kleine Honigglas sieht aus wie Toni Kroos, glatt, leuchtend, von den Problemen der Ernährungswissenschaft unberührt. Das Honigglas steht am liebsten in der Mitte, aber es macht auch am linken und rechten Rand des Tisches eine außerordentlich gute Figur.

Das kann man auch vom frischen Baguette behaupten. Es ragt aus dem Körbchen heraus wie Manuel Neuer. Und wenn es das Körbchen verlässt, was in seiner Natur liegt, dann beeindruckt es durch seine ungeheure Präsenz auf dem Tisch.

Das Messer hat für mich was von Thomas Müller. Es blitzt gelegentlich auf, wenn die Sonne im richtigen Winkel durchs Fenster scheint. Manchmal ist es einfach unter der Papierserviette verschwunden, doch im richtigen Augenblick ist es wieder da, wo es gebraucht wird.

Das Saftglas ist wie Sami Khedira. Es steht gern im Weg, und weil es im Laufe des Frühstücks darum auch mal versetzt wird, kommt es auf dem ganzen Tisch herum. Manchmal gerät es dem Özil-Butterpäckchen gefährlich nah. Das Päckchen wird dann noch runzeliger.

Im Charakterfach des Frühstücks spielt das Croissant. Es hat viele Schichten, bedeckt mit seinen Krümeln den ganzen Tisch, und es ist als Nahrungsmittel bei Kalorienfanatikern wie dem dünnen Dortmunder Mann (Thomas Tuchel) längst aus der Mode gekommen. Aber es ist einzigartig und macht die Erinnerung an große Tage aus. Das Croissant ist wie Bastian Schweinsteiger.

(RP)
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