EM-Reportage "Ente" Lippens gönnt Holland die Niederlage

Bottrop · "Ente" wuchs in Kleve auf, sieht sich aber als "Kind des Ruhrgebiets", spielte einmal für die niederländische Nationalmannschaft und betreibt in seinem Bauernfachwerkhaus in Bottrop ein Restaurant. Dort verfolgte er am Donnerstag das EM-Spiel zwischen Deutschland und Holland.

EM 2012: Gomez' Traumtor gegen die Niederlande
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Auf der Leinwand im Restaurant Mitten im Pott flimmern die ZDF-Bilder aus Charkow und die von Usedom. Kathrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn quatschen aufgeregt auf ihren Pontons auf der Ostsee. Willi Lippens guckt nur mit einem Auge hin. Er ist ganz cool und spricht zwischendurch wortreich über die Krise des Euros. "Ich wäre dafür, dass die Holländer nach Hause fahren", wirft er ein. Lippens ist Holländer. Doch er hat noch eine Rechnung offen, wie er sagt. "Die Holländer haben mir meine internationale Karriere verbaut."

Ein einziges Länderspiel bestritt Lippens für die Niederlande. Er fand keine Akzeptanz in der Mannschaft, die anderen sahen in ihm einen Deutschen. An seinen fußballerischen Qualitäten, lag es laut Selbsteinschätzung nicht, dass er nicht mehr zum Einsatz kam und die WM 1974 verpasste. Bis heute ist Lippens überzeugt: "Mit mir wäre Nederland Weltmeister geworden." Sieben- oder achtmal habe Bundestrainer Helmut Schön vor Lippens' Einsatz für Holland bei ihm angerufen. Er solle doch die Staatsbürgerschaft wechseln, damit er für die deutsche Nationalmannschaft antreten kann. Doch sein Vater war strikt dagegen.

Er ist während des Kriegs mit einigen anderen Niederländern, die in Kleve wohnten, in einen Keller getrieben und mit Knüppeln zusammengeschlagen worden, sagt Lippens, sie wollten, dass er sich freiwillig zum Militär meldet. Viermal habe sich der Vater, der in den 1930er Jahren aus Heerlen nach Kleve gekommen war, dagegen gewehrt. "Darum bin ich sehr stark antideutsch erzogen worden. Mein Vater trug echten Hass in sich."

Bei Länderspielen hielt es der Vater immer mit der Mannschaft, die gegen Deutschland spielte. Doch das ist lange her. Heute foppen sich der niederländische Staatsbürger Willi Lippens und seine Frau sowie die drei Söhne, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Am Sonntagabend war sein Restaurant proppevoll. Zum Hollandspiel aber kommt nur eine Handvoll Gäste. Wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, ist es immer mau, da feiern die Leute Privatpartys, sagt der 66-Jährige. Lippens-Ranch, steht an der Einfahrt zu seinem Anwesen. Umgeben von Wiesen und Waldstücken, Pferdekoppeln und Ställen steht sein Fachwerkbauernhaus. Gungstraße 198, Bottrop. 80 Plätze im Restaurant, Gesellschaftsräume und Fremdenzimmer. "Ab jetzt wieder frischen deutschen Spargel", steht auf der Speisekarte, donnerstags gibt es Spanferkel. Lippens' bekanntester Spruch ziert die Schürze der Kellnerin: "Ich verwarne Ihnen. Ich danke Sie."

Lippens spricht Ruhrpott-Akzent mit deutlich niederrheinischem Einschlag. Er nennt sich Kind des Ruhrgebiets und betrachtet gleichzeitig den Klever Raum als seine Heimat. Er hat einen holländischen Pass. Ich bin Europäer, sagt er aber heute. Bei Rot-Weiss Essen spielte er groß auf. Neben Gerd Müller galt er lange als gefährlichster Stürmer der Bundesliga.

Mehmet Scholls Kritik an Mario Gomez nach dem Portugal-Spiel konnte der ehemalige Angreifer nicht nachvollziehen. Das ist totaler Quatsch, meint er, wenn einer das Tor schießt, kann man den nicht kritisieren. Sonst hätte Gerd Müller nie Fußball spielen dürfen. Der hat auch nur viermal den Ball gekriegt, aber drei Tore gemacht.

Als Gomez das 1:0 erzielt, springen die Gäste auf. Nur Lippens bleibt ruhig auf seinem Stuhl in der ersten Reihe sitzen. Beim zweiten Treffer des Münchners sagt er: "Und alle haben gesagt, Klose muss spielen. Alle." Die Beine hat er von sich gestreckt. Emotionen zeigt er nur selten während der Partie. Als Arjen Robben am Kopf getackert wird, verzieht er das Gesicht. Bei einem Kommentar von Bela Rethy rutscht ihm ein: "So eine Scheiße" raus. Und als Bundestrainer Jogi Löw einem Balljungen den Ball aus dem Arm drückt, schmunzelt er. Das gefällt Schlitzohr Lippens.

Die Holländer hält er seit Jahren für überschätzt, obwohl sie vor zwei Jahren im WM-Finale standen. Alibi-Fußball mehr hätten die nicht zu bieten. "Wenn sie jetzt rausfliegen, dann sind sie auf Jahre hin weg vom Fenster", sagt Lippens. "Da bin ich gar nicht traurig drüber." Mit Prognosen für den weiteren Verlauf der EM hält er sich zurück: "Was Deutschland angeht, bin ich weiter vorsichtig. Spanien, Italien und die Russen sind sehr stark."

(RP/can)
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