EM-Tagebuch Au revoir, Evian!

Evian · Der Abschied aus Evian fällt schwer. In Erinnerung bleiben superfreundliche Seilbahn-Chauffeure, eine Lieblings-Eckneipe sowie der Blick auf das glitzernde Lausanne auf der anderen Seite des Sees.

 RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

RP-Sportchef Robert Peters berichtet von der EM in Frankreich.

Foto: Phil Ninh

Ich bin ein bisschen traurig. Der Koffer ist gepackt, der Kühlschrank geräumt, mein Zimmer mit dem klapprigen Sperrholzschrank, dem rustikalen Schreibtisch und dem Balkon mit dem Blick zwischen den Ästen eines Kirschbaums auf den Genfersee sieht schrecklich aufgeräumt aus. Gleich geht es nach Marseille, ich verlasse Evian. Schnüff!

Ein bisschen mehr als vier Wochen ist das nun meine Heimat gewesen, unterbrochen von Ausflügen in die große Fußballwelt von Lille, Paris und Bordeaux. Das Städtchen ist mir ans Herz gewachsen. Der See mit den vielen Schiffen, das Seeufer mit den Cafés und den Bänken, auf denen immer noch ein Plätzchen frei ist. Die Berge, die sich lange in Regenwolken versteckt haben, seit vielen Tagen aber nun vor einem wolkenlosen Bilderbuchhimmel strahlen, als wollten sie den Abschied besonders schwer machen.

Die Seilbahn, die einen so gemütlich den Berg hinaufrattert mit ihren superfreundlichen Chauffeuren, die Quelle, an der jeder seine Trinkflaschen mit dem berühmten Wasser von Evian auffüllen kann. Die Menschen im Supermarkt, die einen voller Freude mit einem Wortschwall eindecken und die nichts dabei finden, dass ich ratlos zurücklächle. An den Kassen wird gequatscht wie im Rheinland, kein Wunder, dass ich mich ein bisschen zu Hause fühle.

Evian hat mich mit seiner Gelassenheit angesteckt. Vielleicht war es ja auch der Bundes-Jogi, der die Gemütsruhe eines tibetischen Mönchs ausstrahlt. Er passt bestens hierher.

Autofahrer hupen allenfalls mal, wenn ein wirklich niedlich kleiner Autokorso den Berg hinauffährt. An den Zebrastreifen halten selbst die ganz PS-starken Karossen, lange bevor ein Fußgänger den Überweg betritt. Auch ohne Zebrastreifen hat man mich schon rücksichtsvoll über die Straße eskortiert.

Hier haben alle Zeit. So scheint es zumindest. Staus auf den Bergstraßen, vor den vielen Kreisverkehren, an den Einmündungen der Hauptstraßen bringen niemanden aus der Ruhe. Mein eigener Ruhepuls nähert sich wahrscheinlich den Werten von Toni Kroos.

Evian ist gesund. Die Bergsteigerei, die eine Hanglage so mitbringt, raubt mir nicht mehr den letzten Atem - auch wenn ich an dieser Stelle ein Geständnis ablegen muss: Zahlreiche Aufstiege habe ich entweder mit der Seilbahn oder nach deren Dienstschluss gegen sieben Uhr am Abend mit einem Taxi hinter mich gebracht. Das dient denn doch dem abendlichen Allgemeinbefinden.

Dazu hat meine Lieblings-Eckkneipe ebenfalls beigetragen. Sie hat mir ein paar erstaunliche Wahrheiten vermittelt. Ich habe viel über deutsch-französische Freundschaft gelernt. Ich habe gemerkt, wie unaufgeregt die Franzosen mit ihrem Fußball-Ereignis umgehen können. Ich habe verstanden, dass Nachtleben etwas für Großstädter ist. Und ich weiß, dass wir hier willkommen waren. Das ist ja auch nicht überall auf der Welt so.

Ich werde den Blick auf Lausanne auf der anderen Seite des Sees vermissen. Abends glitzert es schön, wenn der Regengott vom Lac Leman nichts dagegen hat, heißt das natürlich. Selbst ihn verlasse ich mit einem leisen Schmerz. Er hat sich ein paar Mal auf mich gestürzt wie der entfernte Verwandte im brasilianischen Recife, der Regengott von Pernambuco, vor zwei Jahren. Aber ich verdanke ihm auch ein grandioses Unwetter, das er mit seiner Freundin, der Gewitterhexe, am vergangenen Wochenende inszeniert hat. Vielleicht war es sein Abschiedsgeschenk.

Ich gehe ein bisschen reicher, als ich gekommen bin. An Erfahrung, versteht sich. Der Geldbeutel leert sich wie überall, wo es schön ist, wo normalerweise Touristen leben und wo die Schweiz nicht so weit ist, wie von selbst. Das ist eine bedauerliche Tatsache, aber es schadet der Gesundheit nicht.

Während wir in Richtung Süden nach Marseille fahren, brechen hinter uns die DFB-Mitarbeiter das Medienzentrum ab. Sie nehmen das Zelt, in dem "de Bastian", "de Messud" und "de Scherohm" (Originalton Bundes-Jogi) auf stehenden Fahrrädern ihre teure Muskulatur in Schwung brachten, auseinander und verpacken das Trainingsmaterial.

Davon soll La Mannschaft nichts sehen, damit sie nicht glaubt, dass sie schon am Turnierende angelangt ist. Deshalb beginnen die Abbrucharbeiten erst nach der Abreise der Fußballer. Ein Ende ist das trotzdem. Zumindest für mich. Ich schau schon so melancholisch wie "de Messud".

(RP)
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