Sehr viel, aber wenig guter Fußball Kein EM-Sommermärchen, doch die Uefa feiert sich

Die erste XXL-EM mit 24 Mannschaften ist Geschichte. Spielniveau und Turnier-Dramaturgie konnten nicht für große Fußball-Freude sorgen. Experten äußern sich kritisch. Die Uefa feiert sich dennoch für ein aus ihrer Sicht gelungenes Experiment.

Tops und Flops der EM 2016 in Frankreich
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Tops und Flops der EM 2016

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Diese EM war kein Sommermärchen! Nach 30 Tagen mit sehr viel Fußball, aber sehr wenig gutem Fußball fällt die Bilanz des ersten europäischen XXL-Turniers ziemlich dürftig aus. So laut die Uefa auch über ihr Mammut-Projekt mit 24 Mannschaften jubelt und die französischen Organisatoren angesichts der bis zum Finale überwundenen Terrorfurcht erleichtert einstimmen - eine kontinentale Begeisterung hat die größte EM in 56 Jahren Turniergeschichte nicht entfachen können.

Die erfrischenden Außenseiter aus Wales und Island sorgten für den Gute-Laune-Faktor. Besonders die Fans und Experten in den klassischen Fußball-Großmächten wie Deutschland, Spanien oder England konnten aber wenig Gefallen an Spielniveau und Stimmung finden.

"Das Turnier und seine festliche Atmosphäre haben Europas Liebe zum Leben gezeigt und der Gesellschaft eine wahrhafte Lehre gegeben", lautete das eher politisch formulierte Turnierfazit von Angel Maria Villar Llona, dem derzeit ranghöchsten Uefa-Funktionär. Die Worte des Spaniers verdeutlichten das Grundproblem des Mega-Events ein gutes halbes Jahr nach der Anschlagsserie auf das Turnier-Herz Paris: Diese EM war vor allem ein Sicherheitsturnier - und zwar auf allen Ebenen.

Das Abschlusszeugnis der deutschen Spieler
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Das Abschlusszeugnis der deutschen Spieler

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Foto: dpa, soe

Die Sorge vor Anschlägen lag wie Blei über dem Ausrichterland, auch im Ausland waren die Sorgen groß. Fanzonen füllten sich eher langsam, der Fußball-Funke wollte nicht so recht überspringen. Frankreich, ohnehin kein klassisches Fußball-Begeisterungs-Land, nahm das Turnier erstmal hin, statt es zu zelebrieren. Und: Sportlich war das Prinzip in einer Dauer-Gruppenphase der Dauer-Duelle zwischen Groß und Klein dann fast symbolisch für die Grundstimmung: Safety First!

Der Toreschnitt von 1,92 Treffern pro Partie deutete auf einen Negativrekord hin. Der Schnitt wurde zwar mit mehr Treffern in der K.o.-Phase abgewendet und deutlich über die Zwei-Tore-Marke gehievt, doch der Esprit einer Taktikrevolution oder Offensivoffenbarung fiel weiter aus. "Es gibt Mannschaften, die ultra-defensiv sind", lautete die von Joachim Löw formulierte Sorge. Da ahnte der Bundestrainer noch nicht, dass selbst ein technisch durchaus talentiertes Team wie Portugal samt Superstar Cristiano Ronaldo auf Abwehrtaktik setzen und damit im Gegensatz zum im Halbfinale gestrauchelten Weltmeister bis ins Endspiel gegen Gastgeber Frankreich vordringen würde.

"Vor allem die Gruppenphase war unfassbar langweilig, ein Horror", konstatierte der frühere Bundesliga-Trainer Lucien Favre im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" - und sprach damit vielen Fans aus der Seele. Der Modus mit vier Gruppendritten im Achtelfinale, die teilweise tagelang über ihr Turnierschicksal im Unklaren waren, überforderte viele Fußball-Freunde. Ex-Vize-Europameister Thomas Hitzlsperger lästerte mitten im Turnier in Richtung des ehemaligen UEFA-Chefs und EM-Ideengebers Michel Platini: "Was ist das größere Verbrechen von Platini? 2 Mio von Blatter kassiert oder EM-Teilnehmerfeld um 50 aufgestockt?".

EM 2016: Momente, die in Erinnerung bleiben
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Momente, die in Erinnerung bleiben

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Der Uefa-Apparat hält dagegen und verteidigte seinen Ex-Chef, der nach seinem Fifa-Ethikbann trotz Uefa-Einladung kein EM-Spiel im Stadion sehen wollte. "Ohne seine Visionen und Unterstützung wäre die EM nie zu so einem Erfolg geworden", sagte der Generalsekretär Theodore Theodoridis. Und der Expansionstrend geht weiter. 2020 wird in 13 Ländern gespielt - ein weiteres Novum mit Gewöhnungsbedarf.

Das alte Fußball-Europa tut sich einfach schwer, die Erweiterung zu akzeptieren - eine Parallele zum politischen Einigungsprozess in Europa, der ausgerechnet in den EM-Tagen mit dem Brexit einen Schlag bekam. In Ungarn, der Slowakei, Nordirland, Albanien und ganz sicher in Wales und Island fällt das EM-Fazit auch anders aus - konnte man sich doch endlich einmal oder endlich wieder auf der großen Bühne präsentieren.

Giorgio Marchetti - das Uefa-Superhirn hinter allen Turnierformaten - kontert auch jede Kritik: "Wir konnten beobachten, dass die Spiele umkämpfter waren als jemals zuvor", sagte er. "Wir hatten Neulinge, die die Würze ins Turnier gebracht haben."

Finanziell hat sich die erste EM mit 24 Teams für die UEFA in jedem Fall gelohnt. Der erwartete Gewinn liegt bei 830 Millionen Euro. Auch diese Visionen hatte Platini. Die vorläufigen Einnahmen bezifferte der Kontinentalverband auf 1,93 Milliarden Euro, dies bedeute einen Anstieg von 34 Prozent im Vergleich zur Europameisterschaft vor vier Jahren, als noch mit 33,3 Prozent weniger Mannschaften gespielt wurde.

(dpa)
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