"Gruppenphase war unfassbar langweilig" Favre geißelt EM-Niveau

Düsseldorf · Der ehemalige Trainer von Borussia Mönchengladbach kritisiert die Uefa, der es nur ums Geschäft geht.

EM 2016: Lucien Favre besucht DFB-Team und fachsimpelt mit Joachim Löw
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Favre besucht DFB-Team und fachsimpelt mit Löw

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Foto: afp

War es nicht eine herrliche Fußball-Europameisterschaft? Vier Wochen lang hat die schönste Nebensache der Welt Millionen in ihren Bann gezogen. In fast allen Ländern herrschte beste Stimmung beim Public Viewing, die Fernsehsender erzielten Traumquoten. Es gab keine Anzeichen für zuvor befürchtete Terroranschläge, und abgesehen von russischen Horden und englischen Hooligans in den ersten Tagen ging es doch recht friedlich zu.

Also alles bestens? Das sehen die Fußball-Experten Lucien Favre und Ralf Rangnick ganz anders. Sie üben heftige Kritik - am gesamten Turnier, aber auch an der deutschen Nationalmannschaft.

Favre, der ehemalige Trainer von Borussia Mönchengladbach, ist schockiert vom schwachen fußballerischen Niveau. "Vor allem die Gruppenphase war unfassbar langweilig, ein Horror", sagte der Schweizer dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Die Ursache der schlechten Qualität sieht er vor allem in der erheblichen Vergrößerung des Teilnehmerfeldes. "Wenn die Uefa eine EM mit 24 Mannschaften spielen lässt, hat das bestimmt wirtschaftliche Vorteile. Aber es schadet dem Spiel."

Dabei lässt der Experte jedoch außer acht, dass gerade die Außenseiter aus Island und Wales dem Turnier ihren Stempel aufgedrückt und die Massen begeistert haben - natürlich weniger spielerisch und taktisch als vielmehr durch Kampfgeist und Euphorie, die ihr gutes Abschneiden ermöglicht haben. Dass das Teilnehmerfeld in den kommenden Jahren wieder reduziert wird, hält Favre für ausgeschlossen: "Es geht seit Jahren nicht mehr um das Spiel, sondern nur noch um Business, Business, Business."

Das Geschäft rund um den Fußball floriert, die Zahlen sind beeindruckend. Einnahmen in Höhe von 1,93 Milliarden Euro stehen Ausgaben von 1,1 Milliarden Euro gegenüber - der Gewinn beläuft sich auf 830 Millionen Euro. "Wir sind sehr zufrieden", sagt Uefa-Turnierdirektor Martin Kallen in einer seltsamen Mischung aus Untertreibung und Begeisterung.

Aber nicht nur die Uefa reibt sich die Hände, auch für den Ausrichter Frankreich war das Turnier ein gutes Geschäft. Das Bruttoinlandsprodukt steigt um 1,127 Milliarden Euro, was einer Steigerung um 0,5 Prozent entspricht. Die Erwartung wurde teilweise recht deutlich übertroffen. Unter den 2,5 Millionen Zuschauern in den Stadien waren 60 Prozent Touristen, kalkuliert hatten die Organisatoren mit nur 40 Prozent Gäste aus dem Ausland. Allerdings hatten die Franzosen der Uefa Zugeständnisse gemacht, um den Zuschlag für die EM-Endrunde zu erhalten, die sich auf einen steuerlichen Ausfall von knapp 200 Millionen Euro summieren.

Ähnliche Steigerungen oder beeindruckende Zahlen lassen sich im sportlichen Bereich natürlich nicht ausmachen. Die Spiele in der Vorrunde waren zu oft von taktisch geprägtem Ergebnisfußball gezeichnet, was oft eine vorsichtige Spielweise und lange Ballstafetten zur Folge hatte.

Das beklagte auch Ralf Rangnick und zeigte dies am Beispiel der deutschen Mannschaft auf. Der Sportdirektor des Bundesliga-Aufsteigers RB Leipzig hat fehlendes Tempo und mangelnden Spielwitz als die entscheidenden Gründe für das Ausscheiden im Halbfinale ausgemacht. Mit diesen Qualitäten seien Nordirland und die Slowakei besiegt worden. "Wir haben es leider nicht mit der gleichen Zielstrebigkeit und mit dem gleichen Tempo nach vorne gegen Italien und auch gegen Frankreich geschafft zu spielen. Deswegen hatten wir in diesen beiden Spielen auch nicht so viele glasklare Torchancen", sagte Rangnick. Ob er dabei bedacht hat, dass die Qualitäten der Gegner auch recht unterschiedlich waren?

Den Kernpunkt der Kritik bildet in seiner Analyse das zu geringe Tempo. An ihm macht er die fehlende Durchschlagskraft fest. "Ich glaube, dass die Diskussion bezüglich der Mittelstürmer ein bisschen am Ziel vorbei führt", erklärte Rangnick. Nach hohen Flankenbällen von der Seite gebe es nur selten Torchancen. "Wenn du aus dem Spiel heraus Tore schießen willst, dann brauchst du mehr Tempo und Spielwitz."

(ths)
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