EM-Kolumne Özil muss nicht singen

Düsseldorf · Die Debatte darüber, ob ein deutscher Nationalspieler wie Mesut Özil die Hymne mitsingen sollte oder nicht, findet unser Autor sinnfrei. Er selbst hat weder als Spieler noch als Bundestrainer gesungen.

 RP-Kolumnist Berti Vogts.

RP-Kolumnist Berti Vogts.

Foto: RP

Deutschland hat gegen die Ukraine einen guten Job gemacht. Es ging darum, erfolgreich in die EM zu starten. Das ist gelungen. Neben den drei Punkten ist das Wichtigste an diesem Spiel, dass Bastian Schweinsteiger getroffen hat. Für ihn selbst ist es ein ganz wichtiger Moment gewesen — und es war auch ein großes Zeichen an alle: Ich bin wieder da, ich glaube an mich und meine Führungsqualitäten.

Die Art und Weise, wie sich die Mannschaft mit ihrem Kapitän gefreut hat, zeigt mir, dass die Chemie stimmt. Und der Chef schwingt wieder den Taktstock. Es war der perfekte Schlussakkord für dieses Spiel, in dem es einige Klippen zu umschiffen gab. Auch das kann nicht schaden. Das schärft die Sinne.

Was allerdings in Deutschland generell los ist, ist fragwürdig. Das DFB-Team gewinnt das erste EM-Spiel, und alle diskutieren darüber, dass Özil die Hymne nicht mitsingt. Ich finde eine solche Debatte unglaublich sinnfrei. Grundsätzlich sollte jeder Spieler und auch jeder Trainer für sich entscheiden, ob er die Hymne mitsingt oder nicht. Und wenn einer dann nicht mitsingt, heißt das nicht zwangsläufig, dass er nicht mit vollem Herzen für Deutschland spielt. Vielleicht identifiziert sich Özil sogar mehr mit dem Team und seinem Heimatland als einige, die lauthals mitsingen. Das kann keiner wissen. Aber man darf keinen Spieler verurteilen, wenn er es nicht tut. Mir ist doch ein Özil lieber, der diesen tollen Pass auf Schweini spielt, aber nicht singt, als einer, der die Hymne schmettert, im Spiel aber der Musik hinterherläuft.

Schauen Sie sich doch mal alte Filme von der Weltmeisterschaft 1974 an. Da hat kein einziger Spieler die Hymne mitgesungen. Ich selbst habe weder als Spieler noch später als Bundestrainer mitgesungen. Und ich denke, zuletzt mir würde irgendjemand nachsagen, nicht genug patriotisch zu sein. Die Minuten vor dem Spiel sind auch dazu da, sich noch einmal voll zu fokussieren, und da muss jeder selbst wissen, wie er das am besten macht.

Die gesamte Debatte zeigt mir aber, dass ein bisschen etwas schiefläuft in unserem Land. Die Menschen suchen immer nach Kleinigkeiten, über die sie sich aufregen können. Nehmen wir das Beispiel Jürgen Klinsmann. Ihm wird vorgeworfen, dass er als Trainer der USA die amerikanische Hymne mitsingt. Wie man es macht, ist es nicht in Ordnung. Aber noch mal: Solche Dinge sind überhaupt nicht entscheidend. Ganz im Gegenteil. Sie lenken vom Wesentlichen ab, und das kann im Zweifelsfall sogar kontraproduktiv sein. Entscheidend sollte bei so einem Turnier nur das sein, was mit dem Fußball zu tun hat. Und da hat Özil gezeigt, dass er wertvoll ist für das deutsche Team.

Auch wegen ihm können wir recht entspannt in das Spiel gegen die Polen gehen. Schon ein Punkt wird beiden Mannschaften reichen für das Achtelfinale, da ja auch die besten Gruppendritten weiterkommen. Aber das deutsche Team will sicherlich den richtigen Weg einschlagen und versuchen, den zweiten Sieg zu schaffen. Zwei Spiele sind noch da, um die Weichen zu stellen und dann ab dem Achtelfinale das wahre Gesicht eines Champions zu zeigen.

Dass bei einer EM Platz drei für die nächste Runde reicht, ist in meinen Augen allerdings eine Farce. Das trägt nicht zur Steigerung des Niveaus bei, ich denke, das haben wir alle in der ersten Turnierwoche gesehen. Es wird sehr viel taktiert, und kaum ein Team sucht das Risiko.

Unser Autor führte die deutsche Nationalmannschaft 1996 als Bundestrainer zum EM-Titel. Er absolvierte als Aktiver 96 A-Länderspiele.

(RP)
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