Rudi Völler im Interview "Glaube nicht, dass jemand im deutschen Team zittert"

Leverkusen · Es bleibt nicht aus: Rudi Völler wird wieder häufiger auf seine legendäre Wutrede aus dem Jahr 2003 angesprochen. Im Interview mit unserer Redaktion verrät er, wie er den Erfolg der Isländer bei der EM einordnet und was er dem deutschen Team zutraut.

 Später hat er sich vertragen mit Waldemar Hartmann, aber natürlich wird Rudi Völler gerade in diesen Tagen oft auf seine Wutrede nach einem 0:0 auf Island angesprochen.

Später hat er sich vertragen mit Waldemar Hartmann, aber natürlich wird Rudi Völler gerade in diesen Tagen oft auf seine Wutrede nach einem 0:0 auf Island angesprochen.

Foto: AP

Herr Völler, was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Isländer spielen sehen — und merken, wie sie als krasser Außenseiter dieser EM zu einem "Riesen" werden?

Völler Ich ertappe mich schon dabei, dass ich dem Außenseiter die Daumen drücke. Wie schon das Duell Spanien gegen Italien, habe ich das Spiel der Isländer gegen England entspannt angeschaut. Aber ich muss gestehen: Als Fußball-Fan freut mich dieser Sieg.

Haben Sie für einen Moment an die EM-Qualifikation 2003 und Ihre legendäre Wutrede als Teamchef nach dem 0:0 in Reykjavík zurückgedacht?

Völler Das ist lange her, aber nach diesem EM-Achtelfinale wird man natürlich darauf angesprochen. Wir haben damals schlecht gespielt. Aber anders als die Engländer, die nun raus aus dem Turnier sind, haben wir trotzdem die Qualifikation geschafft und sind ohne Niederlage Gruppenerster geworden. Man kann diese beiden isländischen Teams ohnehin nicht mehr vergleichen. Man muss sich nur deren Qualifikation anschauen. Die waren in einer Gruppe mit den Holländern, der Türkei sowie Tschechien und haben sich recht deutlich durchgesetzt. Spätestens seitdem darf man die Isländer nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Sie hatten ja schon damals gesagt, dass es keine "Kleinen" mehr im Fußball gibt.

Völler Vor dem Hintergrund, dass nur etwa 320.000 Menschen auf der Insel leben, und die dann auch noch eine solche Nationalmannschaft zusammen bekommen, ist das EM-Viertelfinale natürlich ein herausragender Erfolg für Island. Der Sieg gegen England ist eine Sensation, aber wenn man sich insbesondere die letzten beiden Jahre anschaut und sieht, wie die Isländer sich ihre EM-Teilnahme verdient haben, dann ist das kein Zufall. Die Spieler sind gut ausgebildet und durch ihren schwedischen Trainer toll geschult. Das ist eine Konsequenz der Qualifikation. Die Mannschaft tritt als eine Einheit auf — und bringt dazu noch das Herz mit, das es braucht.

Umso bitterer ist das Ergebnis für Englands Fußball.

Völler Die Engländer werden jetzt zerrissen, aber nochmal: Man darf nicht vergessen, dass Island bisher eine starke Qualifikation und ein gutes Turnier gespielt hat. Die Tore waren toll herausgespielt, zugleich aber haben die Engländer ihren Teil dazu beigetragen. Es zeigte sich das ewige Problem der Engländer auf der Torhüterposition.

Was trauen Sie Island noch zu?

Völler Auch die Franzosen müssen sich in Acht nehmen. Sie werden sicher spielbestimmend sein, aber ein Selbstläufer wird das nicht. Der Druck, als große Fußballnation und Gastgeber des Turniers den krassen Außenseiter schlagen zu müssen, ist riesig.

Wie bewerten Sie das Ausscheiden der Spanier?

Völler Ich hätte ihnen etwas mehr zugetraut. Im Vergleich zu ihrer Abwehr und ihrem Mittelfeld fehlte ihnen im Angriff die Qualität. Es ist ein Unterschied, ob Iniesta oder Busquets mit Neymar, Messi oder Suarez spielen in ihrem Verein — oder dem Stürmchen, das sie jetzt hatten. Das fällt am ehesten negativ auf. Barcelona hat die drei Zauberjungs, das haben die Spanier nicht. Bei allem Diskussionen über Systeme: Am Ende des Tages machen doch die Spieler den Unterschied. Gegen die Italiener ist es sowieso immer schwierig, Tore zu erzielen. Bei Barcelona spielen die drei Raketen, in der spanischen Nationalmannschaft ist das nicht der Fall. Das ein eklatanter Unterschied.

Waren Sie mehr von Italien überrascht oder eher von Spanien enttäuscht?

Völler Die Italiener haben das mit taktischer Konsequenz und Leidenschaft auf ihre Art gut gelöst. So sind sie von Anfang an in das Turnier gegangen. Das sieht nicht immer so prickelnd und spielerisch gut gelöst aus wie bei Deutschland, aber es ist erfolgreich.

Das wird eine unbequeme Aufgabe für Deutschland am Samstag.

Völler Natürlich wird das nicht einfach. Aber ich glaube nicht, dass im deutschen Team deswegen jemand zittert. Dafür ist Deutschland zu stark und weiß um seine Qualität. Die Mannschaft spielt meines Erachtens überlegener als vor zwei Jahren bei der WM. Natürlich waren bisher noch nicht die ganz großen Gegner dabei. Trotzdem waren gerade die beiden letzten Vorstellungen überzeugend.

Wie kann ein Sieg gegen den ewigen "Angstgegner" gelingen?

Völler Deutschland wird die Aufgabe auch gegen die Italiener spielerisch lösen müssen — und die Chancen, die es bekommt, nutzen. Ich glaube nicht, dass sich Deutschland davon beeindrucken lässt, dass die Italiener gegen Spanien gewonnen haben. Deutschland ist Weltmeister. Gegen uns will keiner gerne spielen — auch die Italiener nicht. Die fürchten eher Deutschland als umgekehrt.

Wie bewerten Sie allgemein das bisherige Auftreten der deutschen Mannschaft?

Völler Da gibt es nichts zu meckern. Klar fehlte das eine oder andere Tor, aber fußballerisch ist das herausragend. Das Duell gegen Italien wird ein schönes Spiel, das wird die Leute begeistern.

Was trauen Sie der DFB-Elf zu?

Völler So wie Deutschland bisher aufgetreten ist, ist man absoluter Favorit. Wenn man sich am Ende in diesem Modus durchsetzt, hat man es auch verdient.

Stefanie Sandmeier führte das Gespräch.

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