EM-Teilnehmer im Porträt Italien auf der Suche nach einem Knipser

Düsseldorf · Zu lange hat sich Italien an den Weltmeistern von 2006 festgehalten – als man es merkte, war es zu spät. Nun fehlen Klassespieler, besonders im Angriff.

Premier League 11/12: Balotellis Liebes-Jubel
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Foto: afp, ANDREW YATES

Zu lange hat sich Italien an den Weltmeistern von 2006 festgehalten — als man es merkte, war es zu spät. Nun fehlen Klassespieler, besonders im Angriff.

Italien war immer ein Land großer Stürmer. Schließlich galt es, den legendären Catenaccio nicht nur zu zelebrieren, sondern ihn bisweilen auch zu knacken. Es gab Silvio Piola, Gigi Riva, Paolo Rossi, Roberto Baggio, es gab Alessandro Del Piero. Momentan gibt es niemanden. Viele wären sogar froh, hätte Lazio-Stürmer Miroslav Klose einen italienischen Pass.

Der Deutsche hat dem viermaligen Weltmeister monatelang gezeigt, wie es geht: Langer Ball, langes Bein, kurzer Prozess. Italien hat England-Legionär Mario Balotelli von Manchester City, der allerdings abseits des Platzes kein bisschen klosig ist. Selbst mit Paradiesvogel ist er vollkommen unzureichend beschrieben.

Antonio Di Natale von Udinese Calcio ist zwar der beste italienische Torschütze der Serie A — mit 34 aber sicherlich kein Mann für die Zukunft. Antonio Cassano (AC Mailand) hat eine Herz-OP hinter sich, gab aber immerhin ein beeindruckendes Comeback. Die Gazzetta dello Sport schrieb schon wieder vom "fantastischen Antonio". Doch auch dessen Hang zum Überschwang ist legendär.

Was bleibt, ist höchstens Mittelmaß wie Giampaolo Pazzini (Inter Mailand) oder Alessandro Matri (Juventus Turin). 2006, Finale, Berlin, die Stirn von Zinedine Zidane, die Brust von Marco Materazzi, dann die Hände von Gianluigi Buffon; das ist alles weit, weit weg — und so schnell wohl auch nicht zu wiederholen.

Italien orientiert sich neu

Italien orientiert sich neu. Auch im Fußball. Die alten WM-Helden, Camoranesi, Totti und wie sie alle heißen, sind in Ehren verabschiedet worden, man hatte sich sowieso zu lange an ihnen festgehalten. Das WM-Debakel mit dem Vorrundenaus ohne Sieg 2010 war die Quittung. Die Liga kämpft mit Zuschauerschwund, Schulden, Manipulationen.

"Ich werde nur noch Spieler nominieren, die es verdienen", sagte der neue "Allenatore" Cesare Prandelli bei seiner Vorstellung. Ein Schlag ins Gesicht für den Vorgänger und Weltmeistertrainer Marcello Lippi, der in Südafrika mit einer überalterten und satten Mannschaft sein Denkmal beschädigte. Ein WM-Titel als Hemmschuh.

In Polen und der Ukraine soll sich zeigen, wie es um den italienischen Fußball bestellt ist - vor allem angesichts der zahlreichen Probleme. Der Wettskandal und eine Razzia im Mannschaftshotel haben die Vorbereitung extrem gestört. "Mit Entschlossenheit und großer Demut" will Prandelli Italien dennoch den zweiten EM-Titel nach 1968 bescheren. Damals war die EM noch ein Vier-Nationen-Turnier, die Squadra Azzurra hatte zudem Weltklassespieler im Überfluss: Riva, Rivera, Mazzola, Facchetti, Burgnich, Zoff. Derzeit hat sie keinen.

Immerhin: Torhüter Buffon, ein "Überbleibsel" von 2006, war mal einer. Der viermalige Welttorhüter ist allerdings auch schon 34, er könnte in den kommenden Jahren den Weltmeister-Kapitän Fabio Cannavaro (136 Länderspiele) als Rekordnationalspieler ablösen. "Ich hoffe, dass meine Karriere noch lange weitergeht - mein Alter gibt mir Hoffnung", sagt Buffon. Sein "Idol" Dino Zoff, den "echten Maestro" (Buffon), hat er bereits eingeholt.

Ansonsten arbeitet Nationaltrainer Prandelli, der als Spieler (fast) alles und als Trainer noch nichts gewonnen hat, mit vielen talentierten Spielern, die international noch auf ihren Durchbruch warten. Prandelli tüftelt, probiert vieles aus, setzte 35 Spieler in den EM-Qualifikationsspielen ein.

Das Ergebnis ist eine relativ harmonische, für italienische Verhältnisse erstaunlich torgefährliche Mannschaft - auch ohne Weltklassestürmer und die ganz großen Einzelkönner. Mit Serbien, Slowenien, Estland, Nordirland und den Färöern gab es keine Probleme, 20 Tore erzielten die Azzurri bei acht Siegen in zehn Quali-Spielen (zwei Unentschieden). Aber ein Top-Gegner war nicht dabei.

(sid)
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