Achterbahnfahrt gegen Stuttgart Schalke ist am Limit

Gelsenkirchen · Das 3:2 in letzter Sekunde gegen den abstiegsbedrohten VfB Stuttgart war eine genaue Zustandsbeschreibung der Befindlichkeiten in Gelsenkirchen. Ein Team, das keins ist, soll die Qualifikation für die Euro League schaffen.

FC Schalke 04 - VfB Stuttgart: die besten Bilder des Spiels
30 Bilder

Schalke - Stuttgart

30 Bilder

Zwischen Scherbenhaufen und großer Liebe liegen auf Schalke manchmal nur wenige Augenblicke. Nach 70 Minuten spricht vieles noch für eine ausgewachsene Krise. Von den Rängen kommen erste Huub-Stevens-Rufe, dem Jahrhunderttrainer, der aktuell den VfB Stuttgart vor dem Absturz in die Zweite Liga bewahren soll. Ein Teil der hartgesottenen Anhängerschaft in der Nordkurve will das Schicksal seines Vereins hernach nicht mehr verfolgen, dreht sich demonstrativ um und stimmt alte Euro-Fighter-Lieder an. Früher war alles besser. Zu diesem Zeitpunkt steht es 2:1 für die Schwaben und der Himmel über Gelsenkirchen ist königsgrau.

In der Endabrechnung dominieren allerdings die freundlichen Farbtöne. Die Endzeitstimmung wird ganz pragmatisch zur Seite geschoben und ebenso leidenschaftlich durch "blau-und-weiß-wie-lieb-ich-dich"-Folklore ersetzt. Maßgeblichen Anteil am Umschwung hat ausgerechnet Kevin-Prince Boateng. Erst bereitet er den Ausgleich durch Klaas-Jan Huntelaar vor (78.), dann lenkt Stuttgarts Verteidiger Florian Klein seinen Volleyschuss zum Schalker Siegtreffer ins eigene Tor.

Beim ersten Einsatz seit vier Wochen war Boateng plötzlich die entscheidende Figur. "Ihn darf man nicht abschreiben", sagt Aufsichtsratschef Clemens Tönnies. "Wenn er will, ist er grandios." Genau das ist allerdings das Problem: Boateng will zu selten. Er steht damit exemplarisch für viele seiner Arbeitskollegen, hoch gelobte Kräfte, die ihr Potenzial zu selten abrufen. Vor allem finden sie nicht als Team zusammen. Am Saisonende werden sich wohl einige Wege bei entsprechenden Angeboten trennen - der Abgang von Boateng wird bereits seit geraumer Zeit vorbereitet.

Schalke steht mal wieder vor einem Umbruch. Tönnies will derzeit lieber nicht über mögliche Zugänge sprechen, gleichwohl wird er aber nicht müde, Weltmeister Sami Khedira von Real Madrid einen "großartigen Charakter" zu bescheinigen. "Ich halte ihn für einen Spitzenfußballer, der uns helfen würde. Das geht nur zu vernünftigen Konditionen", sagte Tönnies im Gespräch mit der "WAZ". "Ich würde ihn mir wünschen, die finale Entscheidung aber trifft Horst Heldt." Nicht alle im Revier trauen dem Sportvorstand aber die richtigen Entscheidungen zu. Tönnies dagegen stellt Heldt nicht in Frage - er spricht ihn "aber auch nicht heilig".

So einfach kann es im Revier gehen. Alle sind unzufrieden, aber keiner ist so wirklich Schuld an der Misere. Das finden zumindest die Entscheidungsträger. "Die aktuellen Fehler darf man nicht beim Trainer, beim Manager oder beim Aufsichtsrat suchen, sondern man muss bei der Mannschaft anfangen", befindet der 58-jährige Tönnies. "Profis müssen wissen, was sie zu tun haben. Ich will, dass die einen begeisternden Fußball spielen. Es ist jetzt angesagt, Leistung abzurufen."

Tönnies wünscht sich begeisterungsfähigen Fußball. Zur Umsetzung dieses Vorhabens hat er sich ausgerechnet für einen Trainer entschieden, der den größten Erfolg seiner noch vergleichsweise jungen Karriere mit einer unansehnlichen Mauertaktik erzielte (2012 Gewinn der Champions League mit dem FC Chelsea gegen Bayern München).

Vor den großen Träumen gilt es zunächst einmal das Minimalziel zu erreichen: Europa League.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort