Liebe und Leiden eines Fans Ach, Schalke!

Gelsenkirchen · Für die Bayern ist die Meisterschaft nur ein Trostpreis, Dortmund ist der beste Zweite aller Zeiten, Leverkusen und Gladbach spielen eine Klasse schlechter, aber trotzdem Champions League – und Schalke? Hechelt weit, weit hinterher. Wie sich das für einen Fan anfühlt.

 Schalke-Fan Christina Rentmeister

Schalke-Fan Christina Rentmeister

Foto: Peters

Für die Bayern ist die Meisterschaft nur ein Trostpreis, Dortmund ist der beste Zweite aller Zeiten, Leverkusen und Gladbach spielen eine Klasse schlechter, aber trotzdem Champions League — und Schalke? Hechelt weit, weit hinterher. Wie sich das für einen Fan anfühlt.

Warum hab ich es nicht einfach wie Christian Fuchs gemacht? Von Schalke zu einem Klub wie Leicester City wechseln, der ohne teure Stars und Aussicht auf Erfolge um sein Überleben spielt, mit Leidenschaft und harter Arbeit. Der all das verkörpert, was die Nordkurve von ihrer Mannschaft auf Schalke erwartet — und der gegen jede Wahrscheinlichkeit Meister wird. Nicht einmal die Vereinsfarben hätte ich dafür wechseln müssen.

Aber so funktioniert das Leben als Fan nicht, so funktioniert das auf Schalke nicht. Auch wenn das Prädikat "Malocher-Klub" in Zeiten von Gazprom als Hauptsponsor und eines Spieler-Etats von rund 80 Millionen Euro pro Saison längst mehr Image als Realität ist, halten wir Fans doch an dem alten Ideal fest. Wir kommen in die Arena und hoffen jedes Mal aufs Neue auf leidenschaftlichen Kampf und unbedingten Einsatz der Mannschaft.

Spätestens wenn Zehntausende Fans das Steigerlied erklingen lassen, wobei mich jedes Mal Gänsehaut überkommt, ist er in der Kurve spürbar: der Geist des Bergarbeiter-Klubs, bei dem alle zusammenstehen, der nur existieren kann, weil jeder alles gibt — wir Fans auf den Rängen und in der Kurve, die Mannschaft auf dem Platz, die Manager in ihren Büros. Wir sind jedes Mal aufs Neue überzeugt, diesen alten Geist aufs Spielfeld singen zu können. Auch wenn die Mannschaft am Wochenende zuvor mal wieder eine denkbar schlechte Vorstellung geliefert hat. Und wenn es besonders gut läuft, oder, was zuletzt häufiger der Fall war, besonders schlecht, dann gröhlen wir halt auch noch den "Mythos vom Schalker Markt" herbei.

Egal, wie oft die Erwartungen enttäuscht werden. Wir Fans hoffen, bangen und feiern gemeinsam. Wir trauern und leiden gemeinsam. Im besten Fall gemeinsam mit der Mannschaft. So war es nach der Meisterschaft der Herzen 2001, als wir für vier Minuten Meister waren, und die Bayern in der Nachspielzeit noch ein Unentschieden gegen Hamburg schafften und doch den Titel holten. So war es auch noch beim verspielten Titel 2007.

FC Schalke 04: Wie ein Fan mit dem Klub leidet
Foto: Ferl

Inzwischen eint viele Schalker Fans aber auch der gemeinsame Ärger. Darüber, dass seit Jahren Mannschaften mit hochtalentierten Nachwuchsspielern und hochbezahlten Stars auf dem Platz stehen, aber, abgesehen von einer Vizemeisterschaft 2010 und dem Pokalsieg 2011, erfolglos bleiben. Darüber, dass es zehn Trainer in acht Jahren nicht geschafft haben, eine Mannschaft zu formen, die länger als ein paar Spiele durch Zusammenhalt, Kampfgeist und Siegeswillen überzeugt. Darüber, dass teure Transfers nicht funktionieren und Trainer gehen müssen, bevor sie die Chance haben, ein siegfähiges Team zu schaffen — und das bei mehr als geschätzten 150 Millionen Euro Schulden.

Seit den Vizemeisterschaften 2007 und 2010 betont der Vorstand, alles daran setzen zu wollen, endlich die Nummer eins zu werden. Allen voran Clemens Tönnies — der Boss, der das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden bekleidet — tönt, dass Schalke in der Lage sei, um den Titel mitzuspielen und dass die Meisterschaft sein großes Ziel ist. Das steigert auch die Erwartungen bei uns Fans. Zumal immer wieder in teure Spieler und Trainer investiert wird. Mehr als 127 Millionen Euro hat Schalke nach Angaben des Statistik-Portals "statista" seit 2009 in Transfers investiert. Auch dank eines hochdotierten Sponsoren-Vertrags mit dem mindestens so hochumstrittenen russischen Gaslieferanten Gazprom, der gerade wieder verlängert wurde — bis 2022. Deshalb trage ich, bei aller Fan-Liebe, auch weiterhin mein Trikot von 2001. Und deshalb wird die Identifikation mit dem heutigen S04 nicht leichter.

Zu Letzterem haben sicher auch die vielen Wechsel in der Mannschaft beigetragen. Unter Felix Magath als Trainer wusste manch einer ja nicht mal mehr, wer überhaupt alles zum Kader gehört. Spieler mit Identifikationspotenzial wie einst Ebbe Sand, Mike Büskens oder Olaf Thon wurden immer seltener.

Die Trauer der Fans über den Weggang des Schalker Jung schlechthin, Manuel Neuer, hatten in der Saison 2011/2012 der Superstar Raul und das Schalker Eigengewächs Julian Draxler aufgefangen. Aber Raul ist längst weitergezogen, über Katar und New York City in die Fußballer-Rente, und Draxler spielt aktuell in Wolfsburg.

Seitdem ziehen unmotiviert und lustlos auflaufende Spieler immer wieder den Unmut der Nordkurve auf die Mannschaft. Die Konkurrenz nicht nur aus Dortmund, sondern auch aus Leverkusen und Mönchengladbach enteilt den Schalkern immer wieder, obwohl deren Spielerqualität auf dem Blatt nicht besser ist — im Gegenteil.

Die Phasen, in denen Fan-Lieblinge wie Ralf Fährmann, Benedikt Höwedes oder Leroy Sané den Schulterschluss zwischen Fans und Team schaffen, werden immer kürzer. Zu Beginn dieser Spielzeit war das so. Die Fans feuerten ihr Team 90 Minuten lang an, so laut es irgendwie ging. Das Team dankte es mit ausgiebigen Feiern in und vor der Nordkurve. Doch nach einigen grausamen Spielen und unnötigen Niederlagen war auch das vorbei. Daran ändern auch Spielfreude und Leidenschaft von Nachwuchsspielern wie Sané, Max Meyer oder Marvin Friedrich nur selten etwas.

Die Zeiten, in denen wir Fans gemeinsam mit unserer Mannschaft gelitten haben, sind vorbei. Inzwischen leide ich immer häufiger wegen unserer Mannschaft. Zum Beispiel wegen Spielen wie in Frankfurt. Ende Februar 2016, Sonntagabend, 19.30 Uhr, auswärts. 65 Euro habe ich für einen Sitzplatz bezahlt, plus die Kosten für drei Stunden Zugfahrt — hin und zurück. Und im Stadion gibt es dann Comedy statt Fußball. Schalker Spieler verweigern die Ball-Annahme, Flanken landen im Nirgendwo, und wenn es mal etwas schneller wird, gibt man den Ball lieber bereitwillig an den Gegner ab. Für so ein 0:0 beim Abstiegskandidaten müsste man als Zuschauer eigentlich Schmerzensgeld bekommen.

Das Derby stellt meine Liebe zum S04 dann aber auf eine noch härtere Probe — ausgerechnet. Das Spiel des Jahres für alle Schalker. Bei dem mit einem Sieg aus einer miserablen Saison eine gute werden kann. Schmerzhafte Niederlagen in Derbys habe ich schon viele durchlebt — mindestens so viele wie ekstatisch gefeierte Siege. Das 0:2 gegen uns in Dortmund, das uns die Meisterschaft 2007 gekostet hat, war sicherlich der bitterste Moment in dieser Historie.

Aber der 10. April 2016 wird zum Tiefpunkt meiner Fan-Beziehung mit Schalke. Das Spiel gehört nicht mal zu den schlechtesten in dieser Saison. Über einige Strecken der Partie nehmen sich die Spieler sogar das Banner der Ultras "Spieler in unseren Farben laufen, grätschen, sprinten bis zum Umfallen!" zu Herzen und lassen uns Fans zwei Mal jubeln. Die Stimmung in der Nordkurve schwankt zwischen Euphorie und Entsetzen. Am Ende steht ein 2:2. Ein Unentschieden, mit dem ich zufrieden bin, das sich fast schon anfühlt wie ein Sieg. So weit ist es gekommen — zufrieden mit einem 2:2 im Derby, in dem eigentlich nur ein Sieg zählt. Wirklich?

Zu oft wirkt das Team in den vergangenen Spielen — nein, Spielzeiten — unmotiviert, leblos, unorganisiert, als dass ich mehr erwarten würde als im Spiel gegen Dortmund. Niederlagen nehme ich nur noch mit einem Schulterzucken hin. Das Schlimmste, was meiner Leidenschaft für meinen Verein passieren konnte.

Zu selten zeigt die Mannschaft, was sie wirklich kann. Vor zwei Wochen gegen Leverkusen war es anders. 45 Minuten lieferte das Team dort all das, was wir von ihm erwarten: Spielfreude, Kampfgeist, Mut. Wir stehen schon fast wieder in der Champions League. Da ist sie wieder, die Leidenschaft. Auf dem Platz. Auf den Rängen. Bei mir. Und dann, nach der Pause? Nichts mehr. Aus dem 2:0 wurde eine 2:3-Niederlage, ohne größere Gegenwehr. Aus Fan-Sicht: Arbeitsverweigerung. Ich kann doch auch nicht nach halbgetaner Arbeit einfach aufhö...

Zugegeben, die Schalker Fanszene ist nicht gerade für Geduld und Rationalität bekannt. Nach so manchem Überraschungssieg wie beim Heim-Derby 2014 oder nach dem starken Saisonauftakt in diesem Jahr haben wir den Verein schon als Meister gesehen. So manchen Trainerrauswurf haben wir schon Wochen vor der Entscheidung herbeigeschrien. Und manche Fans beschimpfen die eigene Mannschaft als "scheiß Millionäre", weil diese nur Platz sechs oder sieben erreichen.

Aber die Fans wenden sich nie ganz vom Verein ab, obwohl das viel einfacher wäre. Stattdessen kommen sie Woche für Woche wieder. Leiden, wenn kurz vor Schluss doch der Ausgleich fällt und der Kampf um die Champions League verloren scheint. Halten an ihrem S04 fest. Als wollten sie den Spielern sagen: "Schalke ist unser Zuhause. Wir leben Schalke und nicht weniger erwarten wir von euch. Spielt um unser Leben, spielt für unseren Mythos." Deshalb bin ich Schalke-Fan. Nicht wegen einzelner Stars auf dem Platz, der Sponsoren, Vorstände oder Manager.

Vielleicht hemmen, erdrücken wir die Spieler hin und wieder mit unseren Erwartungen, unserer Emotion, unserer Liebe. Aber genau diese Emotion ist es auch, die Spieler zum völlig unerwarteten Sieg gegen Inter Mailand im Viertelfinale der Champions League trägt, zum Derby-Sieg oder zu einem 4:3 im Estadio Bernabeu in Madrid. Für diese Momente lohnt sich all das gemeinsame Hoffen, Bangen und Leiden. Für das eine Spiel, das eine Tor, das all die miesen Partien binnen Sekunden vergessen macht und uns Fans im Jubel mit dem Team vereint.

Deshalb gehe auch ich immer noch auf Schalke. Wegen der Emotionen in der Kurve, die binnen Minuten von Frust und Wut umschlagen in Freudentaumel. Und für die Momente, in denen Fans und Mannschaft, welche Namen auch immer auf dem Trikot stehen, vereint nach einem Sieg feiern — egal, ob es ein glanzvolles oder ein dreckiges Spiel war.

So war es schon bei meinen ersten Spielen vor 18 Jahren im Parkstadion und so ist es auch heute noch in der Arena — im alten Trikot und am Handgelenk mit dem Schal vom Uefa-Cup-Sieg 1997. Fast 20 Jahre her.

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