Interview mit Ex-Gladbacher Neustädter: "Ich telefoniere noch häufig mit Favre"
Gelsenkirchen · Roman Neustädter im Interview über das Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden, Unruhe auf Schalke und seinen Schuh-Tick.
Roman Neustädter hat bei Bundesligist Borussia Mönchengladbach den Durchbruch geschafft. Vor zwei Jahren wechselte er zu Schalke 04. Der Schritt hatte bei vielen Fans für Unverständnis gesorgt. Der 26-Jährige trifft am Samstag (18.30 Uhr/Live-Ticker) mit den Königsblauen auf den alten Arbeitgeber. Neustädter hofft auf einen Einsatz im Mittelfeld neben Kevin-Prince Boateng.
Herr Neustädter, Frauen müssen Sie lieben.
Roman Neustädter (lacht) Das Gespräch beginnt vielversprechend.
Nun, es heißt, Sie hätten einen Schuhtick. Wie viele Paare stehen aktuell im Regal?
Neustädter Es müssten so ungefähr 200 sein. 80 Prozent davon sind Sneakers, der Rest feine Schuhe, die ich zu Anzügen trage. Bei schönen Schuhen werde ich einfach schwach. Davon kann man nie genug haben.
Sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie auch noch gerne ausgiebig shoppen gehen.
Neustädter Ich kann Sie beruhigen - es hält sich in Grenzen. Aber wenn ich mit meiner Freundin unterwegs bin und ein interessantes Paar im Schaufenster sehe, dann greife ich zu. Meine Freundin merkt manchmal an, dass ich so ähnliche schon hätte. So ähnliche vielleicht, aber nur so ähnlich. Im Urlaub findet man immer auch mal Sachen, die es bei einem zu Hause nicht gibt.
Am Samstag treten Sie mit Schalke 04 in Gladbach an. Was empfinden Sie, wenn Sie an Borussia denken?
Neustädter Viele positive Erinnerungen. Ich bin dort nach einem schwierigen Start in den drei Jahren zum Bundesligaspieler gereift. Ich habe viel gelernt und mich als Persönlichkeit weiterentwickelt. Ich freue mich auf dieses Spiel.
Was ist das Besondere, gegen einen Ex-Klub zu spielen?
Neustädter In erster Linie möchte man gewinnen. Man möchte den Leuten zeigen, dass man den richtigen Schritt gemacht hat. Gerade in meinem Fall haben viele den Wechsel zu Schalke nicht verstanden.
Nervt es Sie, oftmals unterschätzt zu werden?
Neustädter Natürlich wundert es einen, was da für Sachen über einen im Internet geschrieben wird. In der einen Woche bist du der Held, in der anderen für irgendetwas der Sündenbock. Manchmal antworte ich bei Facebook auf Einträge und fordere die entsprechenden Personen auf, mir ganz genau zu sagen, was sie an mir stört. Die Meisten sind aufgrund meiner Reaktion so geschockt, dass in der Regel nichts mehr zurückkommt.
Haben Sie eine Idee, warum Sie so wenig Rückhalt erfahren?
Neustädter Mein Spiel ist für den Zuschauer unauffällig. Ich versuche mein Ding zu machen. Natürlich möchte ich mich jeden Tag weiter verbessern - und vielleicht mehr Tore schießen.
Apropos verkannt. Ihr Trainer, Jens Keller, steht schon wieder massiv in der Kritik. Was sagen Sie zu den ständigen Attacken gegen Ihn?
Neustädter Ich finde das vollkommen lächerlich. Was hier auf Schalke manchmal abgeht, ist unglaublich. Das gilt besonders für einige bestimmte Medien. Man muss den Eindruck gewinnen, die wollen hier einfach nur Unruhe reinbringen. Ich verstehe nicht warum. Es ist hier eigentlich immer unruhig. Der Trainer leistet gute Arbeit. Nach zwei Spielen wird wieder alles in Frage gestellt? Das ist einfach alles zu viel. Ich denke, Jens Keller kann wie wir alle einfach nur noch drüber lachen.
Lucien Favre hatte nach Bekanntgabe Ihres Wechsels zu Schalke Ihre Wichtigkeit für Gladbach mit der von Xavi für den FC Barcelona verglichen. Zufrieden mit dem Beispiel?
Neustädter Natürlich ist das ein schönes Gefühl, wenn ein Fachmann wie Favre so etwas sagt. Aber sehen Sie, viele im Umfeld von Gladbach haben über diesen Satz doch herzhaft gelacht. Die dachten sich, kaufen wir eben einen neuen Sechser und gut ist. So einfach ist das aber nicht. Favre stand immer zu mir, auch in einer Phase, als mir viel Kritik entgegengebracht wurde. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und telefonieren häufig miteinander.
Wie würden Sie den Arbeitsplatz des defensiven Mittelfeldspielers beschreiben?
Neustädter Sehr viel Laufarbeit, unauffällig, viele Zweikämpfe. Man muss versuchen das Spiel des Gegners zu lesen, Bälle abzufangen, eigene Angriffe einleiten. Also eigentlich einen Job, den nicht viele machen wollen. Es bleibt ein Mannschaftssport. Alle müssen zusammenarbeiten, sonst kann man die Räume nicht verteidigen.
Ist das Spiel komplexer geworden?
Neustädter Es ist schneller geworden. Dadurch hat man weniger Zeit für Entscheidungen. Manchmal bleibt dir nur ein Ballkontakt. Da ist viel Intuition im Spiel.
Von Torhütern heißt es, sie hätten einen Knall. Welche Macke haben Sie?
Neustädter Jeder Spieler ist auf seine eigene Weise verrückt. Deshalb ist es auch wichtig, ein Leben außerhalb des Fußballs zu pflegen. Ich genieße es richtig, Freunde um mich herumzuhaben, mit denen ich nicht ständig über meinen Beruf rede.
Sie sind in der Ukraine geboren. Welche Verbindungen haben Sie noch?
Neustädter Also ich weiß, dass ich da aufgewachsen bin. Die Verbindungen sind weitestgehend abgebrochen. Meine Oma lebt mittlerweile in Russland.
Wie nehmen Sie den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland wahr?
Neustädter Ein schwieriges Thema. Man weiß nicht, was man glauben soll. Ich wünsche mir, dass es Frieden gibt. Aber eine kurzfristige Lösung scheint nicht in Sicht.
Wie schwierig ist es, als Spieler eine politische Meinung zu haben - und die dann auch zu äußern?
Neustädter Das muss jeder für sich entscheiden. Ich für meinen Teil bilde mir meine Meinung, denke aber nicht, dass es mir zusteht, diese öffentlich kundzutun. Dafür habe ich keinen ausreichenden Einblick in die Thematik, wie zum Beispiel die involvierten Politiker.
Wenn man über sich liest, dass man, wie in Ihrem Fall, einen Marktwert von neun Millionen Euro hat, was geht da in einem vor?
Neustädter In diesem Geschäft werden unglaubliche Summen für Spieler bezahlt. Gerade nach dieser WM ist einiges in Bewegung geraten. Ich finde es ein wenig zu extrem. Wir als Spieler können das nicht beeinflussen.
Christoph Kramer sprach im Zusammenhang mit Transfergeschäften von Menschenhandel.
Neustädter Ich denke, Christoph ist ein schlauer Kerl, der hat das sicher nicht so gemeint. Noch einmal: Wir bewegen uns in einem Markt, den wir nur zu einem kleinen Teil mitbestimmen. Da gibt es viele unterschiedliche Interessen.
Welche Ziele haben Sie in Ihrer Karriere?
Neustädter Ich setze mir immer Etappenziele. Mein nächstes Ziel ist es, gegen Gladbach zu gewinnen.
GIANNI COSTA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.