Krisen-Klub in der Analyse Endzeitstimmung beim HSV

Hamburg · Der Hamburger SV arbeitet weiter tapfer am eigenen Untergang. Nach zahlreichen strategischen Fehlern steht der Klub in der Bundesliga auf einem Abstiegsplatz. Der Trainer wurde schon gefeuert, jetzt wird die Luft für den Vorstand dünn.

 Beim HSV herrscht nach dem Bundesliga-Fehlstart Frust.

Beim HSV herrscht nach dem Bundesliga-Fehlstart Frust.

Foto: dpa, ahe cul

Der Hamburger SV hatte mal eine Hummel als Maskottchen. Das ist fast so lange her wie der letzte einigermaßen Aufsehen erregende Erfolg des Klubs. Vor 13 Jahren wurde die Hummel von "Hermann", dem Dino, im Volksparkstadion abgelöst — sehr zur Freude vor allem der kleinen Fans. Mittlerweile ist die kuschelige Dinosaurier-Karikatur das mit weitem Abstand Beste an den Heimspielen des Vereins, der sich gern Dinosaurier nennen lässt, weil er seit der Premiere der Bundesliga 1963 ohne Unterbrechung erstklassig ist. Doch der Dino HSV steht vor dem Aussterben. Wieder einmal.

Fehlentscheidungen über Jahre hinweg

Seit Jahren schleppt sich das Gründungsmitglied nach Serien strategischer Fehlentscheidungen nur noch von Spielzeit zu Spielzeit. Zweimal vermied der Klub den Abstieg erst in den Relegationsspielen - zuletzt 2015. Natürlich wurde stets Besserung gelobt, offenbar im unerschütterlichen Glauben, dass Größe, Tradition und treue Anhängerschaft schon sehr bald wieder Titel garantieren.

Garantiert ist beim Hamburge SV aber offenbar allein umfassende Konfusion. Die Führung des Klubs stahl sich bisher erfolgreich aus der Verantwortung, indem sie immer wieder mal den Trainer opferte. Dieses vermeintliche Allheilmittel ist bereits verschossen, Markus Gisdol beerbte Bruno Labbadia. Das Zwischenergebnis: drei Spiele, kein Tor, ein Punkt. Statt Aufbruchstimmung zu erzeugen, muss Gisdol die anhaltende sportliche Krise moderieren.

Weil ihm kaum einer die wesentliche Schuld daran in die Schuhe schieben kann, rückt endlich die Vereinsführung ins Visier. Mit unüberhörbarer Lautstärke hat der Aufsichtsrat den Vorstand angezählt. "So eine sportliche Krise gab es in der Bundesliga-Geschichte des HSV noch nie. Ich werde da nicht tatenlos zusehen. Es geht sportlich und in der Führung nicht mehr so weiter", sagte Aufsichtsratschef Karl Gernandt der "Bild-Zeitung".

Für beide Bereiche ist Dietmar Beiersdorfer zuständig. Der Vorstandschef der HSV-AG hat sich im Mai gleich mal zum Sportchef ernannt und in dieser Position äußerst traditionsbewusst alle Fehler wiederholt, die er seinen Vorgängern im Amt vorhalten könnte. Erneut arbeitete der Klub auf dem Transfermarkt nicht an der Behebung offenkundiger Schwächen zum Beispiel in der zentralen Verteidigung, über die sich die Konkurrenz seit Jahren freut. Der HSV versucht lieber, allerlei glitzernde Sturmperlen aus dem Angebot zu fischen. Das führt zu einem verheerenden Ungleichgewicht in der Mannschaft.

Beiersdorfer ist dafür verantwortlich. Gesteuert wird die Geschichte vom Anteilseigner Klaus-Michael Kühne. Der gehört zu jenen beneidenswerten Menschen, die nicht jede Million vor dem Ausgeben zweimal umdrehen müssen. Er gehört aber auch zu jenen Menschen, die auf dem Standpunkt stehen: Wer das Geld in die Musicbox wirft, der darf auch bestimmen, was gespielt wird.

Und hier beginnt das Problem des HSV. Der Klub hat den eigenen hochfliegenden Anspruch stets mit tüchtigen Honoraren fürs Personal unterstrichen. Irgendwann war er deshalb knapp bei Kasse. Kühnes Millionen nahm er dankbar an, die fußballpolitischen Anregungen des Milliardärs bekam er ohne Aufpreis.

Kühne versorgt HSV mit Millionen

Kühne beließ es nicht bei Empfehlungen für das Verhalten auf dem Spielermarkt. Er sorgte auch dafür, dass nicht nur der dicke Geldbeutel Einfluss im Verein sichert. Es ist ihm natürlich recht, dass in Gernandt ein Vertrauter an der Spitze des Aufsichtsrates sitzt. Kühne holte den ehemaligen Assistenten des Deutsche-Bank-Vorstands Alfred Herrhausen 2008 in den Verwaltungsrat von "Kühne+Nagel".

In der sportlichen Krise des HSV übernimmt Gernandt gerade die Rolle des starken Mannes. Er hat sich selbstverständlich bereits sehr gern zu den sportlichen Fragen geäußert. Nach dem 0:3 gegen Eintracht Frankfurt zu Trainer Gisdols Heimpremiere zeigte er sich "entsetzt, wie zaghaft, wie wenig entschlossen und zum Teil naiv" das Team aufgetreten sei.

Das ist nur ein Spiegel der Orientierungslosigkeit im gesamten Klub. Ob sich daran nach einem inzwischen durchaus möglichen Abschied von Beiersdorfer etwas entscheidend ändern kann, ist eine Frage, die Gernandt und seine Kollegen im Aufsichtsrat in den nächsten Tagen beantworten.

(pet)
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