Analyse Neustart im Weltfußball

Zürich · Der Herrscher des Fußballs tritt ab: Sepp Blatter schmeißt kurz nach seiner Wahl als Fifa-Präsident hin. Dabei hatte er seinen Gegnern gerade noch mit Vergeltung gedroht. Der Verband braucht jetzt eine andere Mitbestimmungsstruktur.

Reaktionen zum Rücktritt von Sepp Blatter
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Foto: dpa, el tc jak

Vor knapp 40 Jahren wechselte ein erfolgreicher Geschäftsmann den Arbeitgeber. Sepp Blatter, zuvor Direktor des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit beim Uhrenhersteller Longines, ging zum Fußball-Weltverband Fifa. Der Adidas-Chef Horst Dassler hatte den 39-Jährigen empfohlen.

Blatter begründete eine Ära, zunächst als Chef des Fifa-Entwicklungsprogramms, dann als Generalsekretär, schließlich als Präsident. 17 Jahre war er im Amt, es war seine Fifa. Bis gestern.

Fifa: Die möglichen Nachfolger von Sepp Blatter
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Blatters mögliche Nachfolger

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Ein paar Tage nach seiner Wiederwahl beim 65. Kongress des Weltverbandes in Zürich trat er zurück. Der Korruptionsskandal vergangene Woche, der bereits sieben hohe Fifa-Funktionäre in die Auslieferungshaft brachte, hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Vielleicht hat damit aber gleichzeitig eine neue Zeitrechnung im Fußball-Weltverband begonnen. Blatter will einen neuen Kongress einberufen, "auf dem mein Nachfolger gewählt wird". Er selbst stehe nicht mehr zur Verfügung, erklärte der Präsident, und: "Die Fifa braucht dringend eine Neustrukturierung und tiefgreifende Reformen."

Genau das verlangen die Blatter-Kritiker seit vielen Jahren und seit der vergangenen Skandal-Woche in Zürich erst recht. Es ist beinahe ulkig, dass der Präsident tiefgreifende Änderungen einer Struktur fordert, die er selbst geschaffen hat.

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Pressestimmen zum Blatter-Rücktritt

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Blatter sicherte sein Imperium mit gut dosierten Wohltaten vor allem an die kleineren der 209 Mitgliedsverbände. Das gab ihm die notwendige Unterstützung, weil jeder Verband eine Stimme bei den Wahlkongressen hat. Seine Wahl am vergangenen Freitag zeigte, wie unbeeindruckt das System Blatter von den Korruptions-Enthüllungen bleiben kann. Mit einer klaren Mehrheit bestätigte ihn die Versammlung.

Blatter hat aber die US-Behörden unterschätzt, die maßgeblich die Ermittlungen gegen die Fifa betreiben. Gestern rückte das Machtzentrum des internationalen Fußballs selbst in den Fokus. Generalsekretär Jérôme Valcke wird schwer beschuldigt. Er soll zehn Millionen Dollar Schmiergelder an den nord- und mittelamerikanischen Verband überwiesen haben. Damit steht endlich auch Blatter am Pranger. Denn es ist kaum vorstellbar, dass der Präsident über das Treiben seines wichtigsten Mitarbeiters und engsten Vertrauten nicht unterrichtet war. Es ist dagegen sehr gut vorstellbar, dass Bestechungen und Bestechlichkeit die Schmiermittel in Blatters perfekt funktionierender Machtmaschine waren.

Die neue Fifa braucht in erster Linie Transparenz. Zeiten, in denen ein Präsident wie ein Feudalherrscher auftreten durfte, mit alleiniger Zeichnungsberechtigung, wie sie sich Blatter noch bis 2013 hatte genehmigen lassen, müssen vorbei sein. Offen müssen Verträge mit den Vermarktern diskutiert werden, die Vergabe von Rechten, von denen die für die TV-Übertragungen die wichtigsten, weil ertragreichsten sind. Blatters ehemaliger Vizepräsident, späterer Gegner und nun im Korruptionsskandal nur durch die Zahlung einer 2,5-Millionen-Dollar Kaution nicht inhaftierte Jack Warner hat 2011 unwidersprochen behauptet, dass ihm der Verband die TV-Rechte für die WM-Turniere seit 1998 für einen symbolischen Preis überlassen habe. Der Verband, das hieß damals wie bis gestern: Blatter.

Mit der Ablösung des Paten ist es freilich nicht getan. Die Fifa braucht eine andere Mitbestimmungsstruktur. Es ist nicht einzusehen, warum die Malediven oder die Cayman-Inseln denselben Einfluss ausüben wie der Deutsche Fußball-Bund, der allein 6,8 Millionen Mitglieder hat. Die großen Verbände sorgen mit ihren großen Athleten bei den internationalen Wettbewerben für die große Unterhaltung, mit der die Fifa wiederum das große Geschäft macht. 1,6 Milliarden Euro Gewinn machte sie zuletzt mit der Weltmeisterschaft in Brasilien. Die starken Verbände müssen ihrem Gewicht gemäß an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Der DFB macht das übrigens vor, auch hier haben die größeren Mitgliedsverbände mehr Stimmen.

Eine Renovierung der Wahlbestimmungen reicht jedoch immer noch nicht aus. Blatters kompletter innerer Zirkel gehört auf den Prüfstand. Vielleicht nehmen die US-Ermittler den Erneuerern der Fifa noch einiges an Arbeit ab. Das ist sicher keine verwegene Hoffnung, wenn sie es schon waren, die Blatters Sturz bewirken konnten. Schließlich hat er zahlreiche Putschversuche mit väterlich mildem Lächeln nach außen und Eiseskälte nach innen überstanden. Es trug zu seiner Macht bei, dass alle, die ihn jemals im Amt gefährden wollten, das Spiel nach seinen Regeln spielten. Das konnte niemand wie er. Die Fifa braucht an der Spitze deshalb endlich mal Saubermänner, die nicht nur von sich behaupten, Saubermänner zu sein, um ihre Geschäfte umso schamloser zu betreiben.

Die neue Fifa-Führung wird viel zu tun haben, die Folgen der Korruptionsaffäre nachhaltig aufzuarbeiten. Während der Skandal um Schmiergelder für Unterstützer der südafrikanischen WM-Bewerbung nur noch mit juristischen Mitteln zu heilen ist, gehören auch die Vorgänge um die Vergabe der WM-Turniere 2018 nach Russland und 2022 nach Katar auf die erste Tagesordnung. In der Schweiz ist ein Strafverfahren eröffnet, das "die Unregelmäßigkeiten" bei der Vergabe aufklären soll. Der Vorwurf lautet: Bei diesen Verfahren ist ebenfalls geschoben worden.

Wenn sich das als wahr herausstellt, wofür vieles spricht, müssen die Turniere neu vergeben werden. Das wird weder den lupenreinen Demokraten um Russlands Präsident Wladimir Putin noch den Scheichs von Katar gefallen, die auf den WM-Baustellen geradezu systematisch Menschenrechte missachten. Aber es geht ab jetzt auch nicht mehr darum, Blatters Geschäftsfreunden gefällig zu sein.

Der europäische Verband, die Uefa, scheint in seiner vorerst mal zarten, aber wahrnehmbaren Opposition gegen Blatter der erste große Sieger zu sein. Blatter hat das sogar vorausgesehen. "Schon morgen können die Gewinner die Verlierer sein", hat er nach der Wahl gesagt. Kaum einer hat geglaubt, dass dieses Wort so schnell Wahrheit wird. Wohl nur Blatter selbst.

Der verspätete Sieg gibt der Uefa allerdings auch Verantwortung: Sie muss sich an die Spitze der Bewegung setzen. Und sie wird wohl versuchen, den bislang so zögerlich auftretenden Präsidenten Michel Platini zur Kandidatur ums höchste Amt der Fifa zu bewegen. Es wäre aber die falsche Wahl.

Er hat für die WM 2022 in Katar gestimmt, und sein Sohn bekam kurz darauf eine Anstellung bei einem Ableger des katarischen Staatsfonds. Zusammenhänge hat Platini stets bestritten.

(RP)
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