Fußball in China Das Kollektiv muss der Star werden

Düsseldorf · Chinesische Sportler dominieren vor allem in Einzelsportarten. Sich im Kollektiv unterzuordnen fällt offenbar noch schwer. Auch Führungspersonen müssen lernen, wichtige Aufgaben zu delegieren.

So plant China den Fußball
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Foto: dpa, jhk moa hpl

Etwas mehr als 10.000 männliche Fußballer sind in China registriert. Zum Vergleich: In Deutschland sind es knapp 5,8 Millionen. Allein anhand dieses Vergleichs erscheint es als sehr hochtrabendes Ziel, dieses Land nun in Windeseile zur Fußballnation verwandeln zu wollen. Soll es dennoch gelingen, müssten die Chinesen neben der Einführung nachhaltiger Maßnahmen einige Verhaltens- und Arbeitsweisen überdenken.

Das offenkundigste Problem auf dem Weg zur Fußballmacht ist einfach zu benennen: Die Basis fehlt. Lediglich ein paar Akademien und wenige Vereine engagieren sich. Serienmeister Guanzhang Evergrande oder Shandong gehören dazu. Nur ein ganz kleiner Teil der Kinder und Jugendlichen wird an den Fußball herangeführt. Niemand sieht, dass sie auf den Straßen oder den Schulhöfen in ihrer Freizeit kicken. Der Mannschaftssport hat ganz offensichtlich keine gesellschaftlichen Wurzeln. Die aber braucht er unbedingt, wenn aus Xi Jinpings Visionen auch nur annähernd Wirklichkeit werden soll. "Fußball ist mehr als ein ökonomisches Phänomen", sagt der prominente chinesische Sportjournalist Yan Quiang, "Fußball ist eine Art Kultur. Er braucht soziale Wurzeln."

Die aber haben in China andere Sportarten. Die 20 erfolgreichsten Olympioniken Chinas sind Tischtennisspieler, Wasserspringer, Turner, Eisschnellläufer und Badmintonspieler. Im ewigen Medaillenspiegel liegt China auf Platz fünf. Einzel- und Individualsportarten liegen den Chinesen — im Mannschaftssport sieht das gänzlich anders aus.

Ehrgeiz und Lernwille sehr ausgeprägt

Im Tischtennis sind die Chinesen bei der Förderung von Talenten das Maß aller Dinge. Das Spezielle: In einem strikt organisierten System arbeiten alle darauf hin, Superstars auszubilden. Es geht nicht darum, den besten Spieler in der jeweiligen Altersgruppe zu haben, sondern einzig darum, jedes Talent darauf vorzubereiten, die Nummer eins der Welt werden zu können.

Tischtennis-Bundestrainer Jörg Roßkopf betont, dass ein Chinese schon Millionen Mal den Vorhandschlag geübt hat, bevor ein deutscher Junge erstmals den Schläger in die Hand nimmt.

Es ist der Nachweis, dass Ehrgeiz und Lernwille sehr ausgeprägt sind. Nun ist es aber — aus dem didaktischen Winkel betrachtet — deutlich einfacher, einem Jungen Topspins oder Schlagwinkel beizubringen als komplexe mannschaftstaktische Prozesse. Diese Erfahrung machen deutsche Trainer bei Talenten in der Chinese Super League immer wieder.

Journalist und China-Experte Wolfgang Hirn beurteilte vor zehn Jahren die gesellschaftliche Entwicklung und prognostizierte: "Es wächst ein Volk von Egoisten heran." Und mitten in dieser Kultur des Egoismus soll nun eine Sportart gefördert werden, die auf einem starken Kollektiv basiert.

Dazu braucht es einen Neustart. Kinder, die die Bedeutung von Mannschaftsgeist und Teambuilding lernen. Experten sind sich sicher, dass Chinas Fußball mindestens 15 Jahre benötigen werde, bis er eine taugliche Struktur entwickelt hat. Und es ist eine sehr offene Frage, ob die großen Wirtschaftsunternehmen, die über die notwendigen Mittel verfügen, so viel Geduld aufbringen.

Ein chinesisches Sprichwort besagt zwar: "Der Schlüssel zu allem ist Geduld. Nicht durch Aufschlagen, sondern durch Ausbrüten wird aus dem Ei ein Küken." Doch dem chinesischen Volk wird auch nachgesagt, so schnell wie möglich und auf direktem Weg zum Ziel kommen zu wollen. Und die Führungspersonen in Liga und Verband wollen Staatschef Xi schließlich nicht warten lassen.

Hebel an den falschen Stellen

Die bisher eingeleiteten Maßnahmen erhärten jedenfalls den Verdacht, dass der Hebel an falscher Stelle angesetzt wurde: nicht im Jugend- und Amateurbereich, sondern in der Profliga. Regeländerungen sollen helfen, den Bestand an mittelprächtig talentierten Spielern jetzt schon in die Kategorie internationale Klasse zu hieven. So müssen bei den Klubs in der Chinese Super League stets zwei U23-Spieler im Kader stehen, ab der kommenden Saison auch einer in der Startelf. Maximal vier Ausländer dürfen unter Vertrag stehen, drei in den Kader berufen werden. Und ausländische Torhüter dürfen erst gar nicht verpflichtet werden. Ein Vorgehen, das bei europäischen Experten für Kopfschütteln sorgt.

Ein weiteres Problem: Die führenden Personen der Klubs und im Verband wurden zumeist in Politik und Wirtschaft sozialisiert. An der deutschen Fußballgeschichte lässt sich ablesen: Wer ein Wirtschaftsunternehmen erfolgreich führen kann, muss nicht unbedingt auch einen Fußballklub führen können.

Die Beratungsresistenz in den oberen Etagen bei Liga und Vereinen sei sehr ausgeprägt, sagen deutsche Angestellte chinesischer Klubs hinter vorgehaltener Hand. Deshalb wird auch die Sinnhaftigkeit einer deutsch-chinesischen Fußballallianz angezweifelt. Es sei nicht damit getan, einen D-Jugendtrainer nach China zu holen. Dass tatsächlich ein deutscher Experte hinreichend Befugnisse übertragen bekommt, um die verkrusteten Strukturen aufzubrechen — wie hierzulande nach der EM 2000 geschehen —, scheint schwer vorstellbar.

(erer)
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