Jörg Albertz "Chinas Fußball fängt bei null an"

Mönchengladbach · Jörg Albertz war 2003 der erste deutsche Fußballprofi in China. Zwei Jahre spielte der Mönchengladbacher für Shanghai Shenhua. Karsten Kellermann sprach mit dem 46-Jährigen, der auch für Fortuna Düsseldorf, den Hamburger SV, die Glasgow Rangers, Greuther Fürth und den FC Clyde spielte, über die Fußball-Offensive in China und ihren Effekt.

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Foto: ap, AP

Herr Albertz, der Fußball in China soll mit viel Geld hochgejazzt werden. Kann man Spieler verstehen, die dorthin gehen?

Jörg Albertz Finanziell ist das sicher sehr lukrativ. Es sind ja zum Teil unmoralische Angebote, die da kommen, da kann man vielleicht gar nicht nein sagen. Um sich aber sportlich weiterzuentwickeln, ist China sicher nicht der richtige Weg.

Wie war es bei Ihnen? Damals sind Sie vom Hamburger SV zu Shanghai Shenhua gewechselt.

Albertz Man hatte mir beim HSV klar gesagt, dass nicht mehr mit mir geplant werde. Das Wechselfenster in Europa war schon zu. Dann kam das Angebot aus China. Das war mir lieber, als in Hamburg auf der Tribüne zu sitzen. Vor allem hat mich diese Erfahrung menschlich weitergebracht. Es ist eben eine ganz andere Kultur, die Menschen haben eine andere Mentalität. Es war sehr schön, das mit meiner Frau zwei Jahre lang erleben zu dürfen.

Sie sind Meister geworden, waren Spieler des Jahres - doch wegen aufkommender Bestechungs-Gerüchte im chinesischen Fußball war es eine zwiespältige Erfahrung, oder?

Albertz Ich hatte damals ja keine Beweise, aber das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Wir haben Spiele auf eine Art und Weise verloren, die einfach nicht sein konnte. Das war der Grund, warum ich das dritte Jahr dort, das mir angeboten wurde, nicht mehr gemacht habe. Im Nachhinein haben sich die Korruptionsvorwürfe bestätigt.

Jetzt ist Fußball Staatsprogramm in China. Kann man den Sport mit Geld groß kaufen?

Albertz So einfach ist es nicht. Das eigentliche Ziel, den chinesischen Fußball besser zu machen, wird verfehlt. Wenn du bei einem Hausbau mit dem Dach anfängst, fällt das Haus auch zusammen. Wenn man einen Teil dieser utopischen Summen in die Jugendarbeit fließen lassen würde, in die Infrastruktur, in die Ligen, würde man ein Fundament schaffen, ohne das es nicht geht. Sonst wird es eine Kirmes-Liga. Ich habe gehört, dass es nun den Ansatz gibt, Geld in Höhe der Gehälter auch in die Basis zu stecken. Das wäre okay. Aber man muss auch einen langen Atem haben. Du kannst nicht davon ausgehen, etwas zu machen und dann in fünf Jahren Weltmeister zu werden.

Ist der lange Atem im Reich der Mitte da?

Albertz Das sehe ich im Augenblick nicht, es kommt mir vor, als wollte man alles erzwingen. Es gibt genug Beispiele im Fußball, die zeigen, dass das so nicht geht. Fakt ist: Wenn du den chinesischen Fußball besser machen willst, musst du die chinesischen Spieler fördern und nicht darauf hoffen, dass sie von einem Spieler, der 80 Millionen Euro kostet, in zwei Jahren, die er für deinen Verein spielt, alles lernen. Du brauchst ein gutes Ausbildungssystem, gute Trainer, von denen die chinesischen Trainer lernen können. Ohne diesen Weg ist es nicht machbar.

Macht China mit dem aktuellen Ansatz den Fußball kaputt?

Albertz Kaputt machen würde ich nicht sagen. Aber gesund ist es natürlich nicht. Allerdings werden die Top-Spieler, die in ihrer Blütezeit und hungrig nach Erfolgen sind, den Weg ja gar nicht gehen. Sie wollen in den großen Ligen Europas spielen, um sich da mit den Besten zu messen.

Für den DFB ist China ein wichtiger Markt der Zukunft. Wie groß ist in China das Interesse am Fußball?

Albertz Sehr groß. Alle wichtigen Ligen werden live gezeigt. Es gibt ja auch schon einige Kooperationen mit chinesischen Klubs. Wichtig ist, dass beide Seiten davon profitieren.

Sie haben mit der Fußballschule, die Sie mit Hans-Georg Dreßen betreiben, Camps in China absolviert.

Albertz Durch meine Zeit haben wir noch Kontakte nach Shanghai. Die Camps waren sehr erfolgreich. Wir denken nun darüber nach, dort eine ganzjährige Fußballschule aufzubauen. Wir haben bereits einen Partner dort, auch Kontakte zu Vereinen. Aber man muss schauen, was daraus wird. Das Ziel ist jedenfalls, dort eine feste Basis zu haben.

Kann man in China zum Beispiel den deutschen Fußball einfach kopieren und nachahmen?

Albertz Nein. Man kann aber dem chinesischen Fußball Hilfestellungen geben. Doch am Ende muss man dort schon seine eigene Identität aufbauen. Es gibt ja sehr viele Chinesen und da wäre es doch verwunderlich, wenn es da nicht viele Talente gibt. Ich hoffe, dass man in China realistisch genug ist und begreift, dass man nicht alles mit Geld erzwingen kann, sondern dass es wachsen muss.

Hilfreich wäre sicherlich, wenn mehr chinesische Spieler in Europa spielen würden.

Albertz Sie müssen aber auch die Qualität haben, um dauerhaft zu spielen. Chinesische Spieler sind sehr diszipliniert, schnell und giftig. Das sind Talente, aus denen man gute Fußballer machen kann. Aber es braucht alles seine Zeit. Das hat sich doch auch bei uns gezeigt. Auch da hat es gedauert, bis die Nachwuchszentren tolle Spieler hervorgebracht haben. Und bei uns war die Basis noch mal eine ganz andere. In China fangen sie absolut bei null an. Solange es keine Struktur gibt, können sie investieren, wie sie wollen, es wird nicht nachhaltig nutzen.

(RP)
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