Trauer um Johan Cruyff Der König ist tot, sein Fußball lebt weiter

Berlin/Amsterdam · Er war ein Besserwisser, oh ja. Ein großer Besserwisser. Aber im Unterschied zu den meisten anderen Besserwissern wusste er es auch besser. Ganz sicher war er einer der besten Fußballer aller Zeiten, viele seiner Zeitgenossen in den 60er und 70er Jahren finden, dass er der beste war.

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Foto: afp

Er wurde ein großer Trainer, und er hat den Fußball geprägt wie wenige andere. Was Barcelona spielt, was die Bayern spielen, was die spanische Nationalmannschaft und die holländische Auswahl in ihren besten Spielen zeigten - das war Fußball, wie Johan Cruyff ihn erfunden hat. König Johan haben sie ihn in Holland genannt. Der König ist tot. Mit 68 Jahren erlag er dem Lungenkrebs.

Johan Cruyff war keiner, den die Fans liebten, weil er so ein netter Kerl war. Sie verehrten ihn wegen seiner Kunst auf dem Rasen, sie staunten über seine Fähigkeiten und seine Ausstrahlung. Aber er war alles andere als ein massentauglicher Knuddelbär. Er war ein König, herausgehoben aus der Menge, mit stolzer, ja herrischer Geste wie ein Feldherr auf dem Rasenviereck. Eine Respektsperson. Einer, mit dem man nicht unbedingt Streit haben wollte.

Weil das schmale Kerlchen mit der großen Durchsetzungskraft von Anfang an viel besser spielte als all die anderen um ihn herum im erwachenden Fußballriesen Holland, war er eine natürliche Führungsperson. Um ihn herum baute Rinus Michels die große Mannschaft von Ajax Amsterdam. Sie gewann dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister, den Vorgängerwettbewerb der Champions League, Michels war nur beim ersten Mal dabei (1971). Cruyff war der Star dieser Elf.

Sie spielte einen revolutionären Stil, "voetbal totaal" nannten ihn die Niederländer. Es war die Suche nach einem Ideal, der Kunst, dass alle Spieler Angreifer und Verteidiger sein können, dass sie den Raum verteidigen und so kompakt wie möglich nach vorn kommen. Der vielleicht wichtigste Grundsatz: Ballbesitz ist der Schlüssel zu allen Erfolgen. Das hört sich nicht nur modern an. Es ist die Basis für alle vermeintlichen Revolutionäre und Erneuerer der Gegenwart. Cruyff füllte diese Spielweise mit seiner Gegenwart auf dem Platz. Er war überall, suchte den Ball, bestimmte Rhythmus und Tempo. Wenn er am Ball innehielt und vor seiner Beschleunigung aus dem Stand mit den Armen die Richtung angab, dann war er ein Dirigent mitten im Orchester.

Der größte Titel als Spieler blieb ihm versagt, weil die Holländer im Finale von München 1974 gegen die Deutschen zu überheblich spielten. Die beste Mannschaft des Turniers vergab die Chance auf die Weltmeisterschaft auf typisch holländische Art.

Natürlich wurde danach heftig gestritten. Auch darin sind die niederländischen Fußballer großartig. Cruyff war in dieser Disziplin ebenfalls einzigartig. Mit anderen Autoritäten, Schiedsrichtern insbesondere, hatte er ein Problem. Mit den Meinungsmachern und Kommentatoren in den Medien selbstverständlich auch. Es ist kein Wunder, dass Cruyff ihnen mit fortschreitender Lebenszeit dieses Feld nicht mehr überlassen wollte. Neben all seinen Erfolgen als Trainer und Spieler wurde er ein gefürchteter Kritiker. Andere als gleichwertig zu betrachten, fiel ihm erkennbar schwer. Er wusste, dass er es besser wusste.

Und er ließ sich nicht hereinreden. Er qualmte wie ein Schlot, zu den schlimmsten Zeiten soll er 80 Zigaretten am Tag geraucht haben, wenn es nicht anders ging sogar in der Halbzeit. Schon in den 90ern machte sein Herz das nicht mehr mit. Erst nach einem Infarkt und einer Bypass-Operation hörte er auf die Ärzte und gab das Rauchen auf.

Sein zweiter Verein wurde der FC Barcelona. Cruyff begründete jenen Fußball, den Pep Guardiola seit ein paar Jahren zum FC Bayern weitergetragen hat. Der Holländer hat das Konzept seines Ziehvaters Michels feiner, perfekter gemacht. Er schuf eine regelrechte Fußballschule. Die Erfolge mit den Katalanen haben ihn mächtig gemacht. Er wurde gefragt, wenn wesentliche Entscheidungen im Klub gefällt wurden. Er war es, der seine Hand über Trainer hielt, und er war es, der den Daumen senken konnte. Cruyff herrschte mit strengem Blick über sein Erbe - auch in Amsterdam.

Für seine Nachfolger war es immer schwer, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Der perfekte Fußballer hatte Probleme mit allem, was nicht wenigstens den Ansatz von Perfektion in sich trug. Niemand ätzte schärfer als Cruyff über die holländische Nationalelf, wenn sie wieder mal das Erbe der 70er mit Füßen trat. Er lieferte sich ausführliche Kämpfe um die Deutungshoheit in den Niederlanden mit Intimfeinden wie dem ebenfalls hoch sendungsbewussten Louis van Gaal. Er fühlte sich immer als Sieger. Viele fanden ihn dabei sehr anstrengend.

Die Streitlust war Stärke und Schwäche des unvergleichlichen Fußballers Cruyff. Für Genies ist es eben nicht einfach, wenn sie Normalsterbliche herumstümpern sehen. So muss ihm vieles vorgekommen sein.

Der König ist tot. Sein Fußball lebt weiter.

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