Ausbildung für Europa-Karriere Steiniger Weg für Brasiliens Jung-Kicker

Mirassol/Berlin (RPO). Kaka, Robinho und Ronaldinho begeistern in Europa jede Woche die Fans, doch bis dahin ist es für tausend weitere Jung-Kicker aus Brasilien ein steiniger Weg.

 In Brasilien blüht der Handel mit minderjährigen Fußball-Talenten.

In Brasilien blüht der Handel mit minderjährigen Fußball-Talenten.

Foto: AP, AP

Der Handel mit minderjährigen Talenten blüht, wie die Dokumentation "Handelsware Torjäger - das große Geschäft mit kleinen Kickern" des TV-Senders Phoenix am Samstag (11.30 Uhr) zeigt.

"Zuerst säen wir, dann ernten wir, und schließlich verkaufen wir unser Produkt auf dem Markt. Direkt auf den Tisch des Verbrauchers. Unser Hauptabsatzmarkt ist Europa", sagt Carlos Roberto. Der ehemalige brasilianische Nationalspieler und zweimalige WM-Teilnehmer (1978 und 1982) mit dem Künstlernamen "Roberto Dinamite" betreibt eine von unzähligen Fußballschulen in Brasilien, die er bezeichnenderweise CR Promocoes nannte, was frei übersetzt "Sonderangebote von Carlos Roberto" bedeutet.

Billig ist Cleysson "Dunginha" Alves wahrlich nicht. Rund 200. 000 Euro sind die Beine des 13 Jahre alten Technikers bereits wert. Der FC Barcelona hat schon Interesse am 1,50 m großen Offensivspieler angemeldet. "Meine Familie hat mich gedrängt, dribbeln zu lernen und Tore zu schießen", erklärt Dunginha, der wie 90 Prozent aller brasilianischen Jungs als Berufswunsch "Fußballstar" angibt.

Die Talentschmiede im kleinen Ort Mirassol im Bundesstaat Sao Paulo von Carlos Roberto, der Rechte an 85 Talenten aus ganz Brasilien besitzt, ist bei Eltern heiß begehrt. Schließlich bringt ein späteres Engagement des Kindes bei einem europäischen Topklub bares Geld.

Doch zuvor kassieren die Vereine, Berater und Trainer der meistens aus armen Verhältnissen stammenden Jungtalente. Schließlich werden im Samba-Staat jährlich rund 100 Millionen Euro durch den Export von Fußballern verdient.

Doch nicht immer verläuft der Sprung über den großen Teich reibungslos. Zudem wird der Traum einer großen Karriere nicht selten von Betrügern ausgenutzt. So kam Jean Carlos da Silva Ferreira nur knapp ein Jahr nach seinem Wechsel zu Saturn Moskau nach Brasilien zurück. Der Spieler erkrankte wegen "des komplizierten Essens und der Kälte in Russland" an Depressionen. "Ich hatte auch keinen Wagen, obwohl das im Vertrag stand. So konnten wir nicht mal einen Ausflug machen. Es war furchtbar", berichtet der Stürmer.

Sein brasilianischer Landsmann Douglas dos Santos erlebte noch Schlimmeres: Nachdem ihm 3000 Euro Monatsgehalt versprochen wurden, und sein Vater für den Flug sogar sein Auto verkauft hatte, wartete niemand auf den 20-Jährigen am Frankfurter Flughafen. Ohne Geld für einen Rückflug in der Tasche mussten er und sechs weitere Spieler drei Wochen im Terminal ausharren. "Ich war total verzweifelt. Mehr als 20 Tage war ich ohne Dusche und ohne Essen. Es war ein Albtraum", sagt dos Santos.

Der Sportjournalist Dalmo Pessoa kritisiert daher den Verkauf von ungefähr 800 Jung-Fußballern jährlich: "Wir sind zu einer Kolonie von Spielertalenten geworden. Das Königreich, also der europäische Fußball, zwingt uns, einen Rohstoff von höchster Qualität zu liefern."

Auch die Talentfarm von Carlos Roberto wirbt für ihre Schützlinge regelmäßig in Europa. Schließlich kostet die Ernährung, das Training, der Besuch einer Gesamtschule am Nachmittag, die Unterkunft, die Gesundheit und die Erziehung eines Kindes bis zur "Exportreife" 3000 Euro pro Jahr und bis zu einem lohnenden Verkauf werden die Teenager mit Taschengeld und vier Mahlzeiten am Tag verwöhnt.

Die umworbenen Talente akzeptieren daher auch das tägliche Krafttraining, welches für die noch im Wachstum befindlichen Körper maximal 30 Prozent betragen darf, und die Trennung von Eltern, Geschwistern und Freunden.

Alles wird dem großen "Traum Europa" untergeordnet. "Dort ist alles besser", schwärmt Dunginha. Und der bereits vom PSV Eindhoven mit einem Vorvertrag ausgestattete 15 Jahre alte Nicao hofft: "Da kann man viel mehr Geld verdienen."

Nur eines fürchtet Dunginha: "Wenn ich nicht mehr Fußball spielen könnte, wegen irgendeiner Tragödie, dann wäre ich sehr, sehr traurig." Dann wäre der Traum von der großen Karriere zerplatzt und die Euro für Spieler, Eltern und Berater blieben eine Luftblase.

(sid)
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