Fall Kruse belebt Diskussionen um Sitten Muss ein Fußballer moralisch handeln?

Düsseldorf · Der "Fall" des Mönchengladbacher Nationalspielers Max Kruse belebt die Diskussion um die Sitten im Profifußball.

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Max Kruse fährt einen Maserati in Tarnfarben. Er hat schon mal seltsame Raps gesungen. Und er neigt nicht dazu, in Kleidung und Auftreten harmlos daher zu kommen. Nun hat sich der Mönchengladbacher Fußball-Profi offenbar selbst um die WM-Teilnahme gebracht, weil er bei einer Reise mit der Nationalmannschaft nächtlichen Frauen-Besuch auf dem Hotelzimmer gehabt haben soll.

Natürlich behaupten die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball-Bund, Kruses Nicht-Nominierung habe allein sportliche Gründe. Das ist aber zumindest nicht die ganze Wahrheit. Es geht auch um Fragen von Sitte und Anstand. Der DFB legt nämlich großen Wert darauf, seine Spieler als skandalfreie Vorzeigesportler zu präsentieren. Das hat er mit den Vereinen gemein. Die beklagen zwar gern den Mangel an kantigen Typen. Ihren Fußballern bügeln sie aber im Laufe der professionellen Früherziehung in den eigenen Internaten Sprache und Verhalten derart glatt, dass es in den Begegnungszonen zwischen Medien und Profis geradezu hallt vor wohlerzogenen Plattheiten.

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Das ist Max Kruse

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Foto: dpa/Andreas Gora

Der DFB ist Vorreiter dieser Früherziehung. Wer die Mannschaften des Verbandes durchlaufen hat, der bedankt sich für das Vertrauen des Trainers. Der "freut sich unheimlich", wenn er mal bei der A-Mannschaft dabei ist. Er lobt die freundliche Aufnahme in den Kreis der Auserwählten. Und er stellt keine Ansprüche. Wenigstens in der Öffentlichkeit nicht.

Manche finden das langweilig, manche verlogen. Recht haben beide Seiten. Natürlich sind die Hochleistungssportler von heute stärker als ihre Vorläufer-Modelle aus den Frühzeiten des Berufssports Fußball in den 60er, 70er oder 80er Jahren auf eine hochvernünftige Lebensführung und Öffentlichkeitsarbeit angewiesen. Schließlich sind einerseits die körperlichen Anforderungen extrem gewachsen, andererseits die Augen der Öffentlichkeit überall. Spektakuläre Grenzübertretungen, wie sie sich Kruse beim Londoner Gastspiel mit der Nationalelf wohl erlaubt hat, gibt es deshalb im halböffentlichen Raum nicht mehr.

Das ist das Auto von Max Kruse
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Das hat sicher nichts damit zu tun, dass die heutige Generation von Berufssportlern im Vergleich zu ihren Ahnen im vergangenen Jahrhundert moralischer oder anständiger wäre. Die Gesellschaft um sie herum ist schließlich auch nicht anständiger geworden. Heutige Profis sind nur besser mit den Mechanismen eines großen Geschäfts vertraut, das keine Privatsphäre mehr erlaubt. Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Die wilden 80er

Es gab Zeiten, als Verstöße gegen disziplinarische Grundsätze zum guten Ton gehörten. Vor allem in den 80er Jahren musste, wer sich in der Machowelt des Berufsfußballs behaupten wollte, einfach mal nachts aus dem Trainingslager in die nächstbeste Disco fliehen. Er musste sich auf eine Männergesellschaft einlassen, in der die Grenzübertretung ein Ritual war, das Anerkennung bewirkte. Paul Breitner, der sich in den 70ern schon als Rebell hervorgetan hatte, war 1982 einer der Anführer beim legendären DFB-WM-Trainingslager am Schluchsee. Das Gewässer wurde von den Wegbegleitern der Mannschaft anschließend ganz treffend in Schlucksee umbenannt, weil die Spieler vor allem Ausdauer im Umgang mit alkoholischen Getränken trainierten. Mit durchschlagendem Erfolg, heißt es. Gut 30 Jahre später hätten derartige Leibesübungen den sofortigen Rauswurf aus der Nationalelf zur Folge.

Wer sich zu den Auswüchsen einer dekadenten Berufsathleten-Truppe bekannte, der riskierte schon damals seine Karriere. Der Kölner Torwart Toni Schumacher ist ein Beispiel dafür. Er schrieb in seinem "Anpfiff" unter anderem über Prostituierten-Besuche im DFB-Quartier. Der "Anpfiff" wurde zu seinem Abpfiff.

Auch seinerzeit wurde viel über Moral und die Vorbild-Funktion der Nationalspieler diskutiert. Noch immer aber haben die Geschichten einstiger Profis aus ihren Trainingslagern ein dankbares Publikum in den Talkshows. Auch zur WM wird das wieder so sein. Da werden sich langsam ergraute Herren krachend auf die Schenkel schlagen, wenn sie sich an ihre wildesten Zeiten erinnern. Sie hatten das Glück, dass damals nicht alle paar Meter jemand mit dem Fotohandy stand.

Und im Publikum werden viele begeistert klatschen, die heute mit dem Finger auf Kruse zeigen.

(RP)
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