Leben nach dem Fußball Die große Leere

Düsseldorf · Psychische Erkrankungen sind im Fußball keine Seltenheit. Besonders nach dem Karriereende wissen die Ex-Profis oft nicht, wie es weitergehen soll. Die größten Probleme macht die Suche nach neuen Aufgaben.

 Sebastian Deisler beschritt bei der Verarbeitung seiner Probleme einen ungewöhnlichen Weg.

Sebastian Deisler beschritt bei der Verarbeitung seiner Probleme einen ungewöhnlichen Weg.

Foto: dpa

Sebastian Deisler war vieles: Ausnahmetalent, Nationalspieler, Idol. In den späten 90er Jahren kannte den Mittelfeldstrategen aus Lörrach fast jedes Kind. Er legte als Fußballer eine Ausnahmekarriere hin. Deisler begann in Gladbach, wechselte zur Hertha und später zu Bayern München, holte drei Meister- und drei DFB-Pokal-Titel. Was Fußballdeutschland damals nicht wusste, war, dass es noch einen ganz anderen Sebastian Deisler gab. Einen, der nichts mit dem coolen Vollprofi zu tun hatte, als der er sich ausgab. Einen, der mit dem Druck im harten Fußballgeschäft nicht mehr klarkam. Einen, den der Fußball krank machte. Sebastian Deisler litt an Depressionen. Er beendete frühzeitig seine Karriere und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Dabei sind Deislers Erfahrungen für einen Fußballprofi weniger ungewöhnlich, als man glauben mag. Neben Verletzungsfolgen, wie beim ehemaligen Kölner Profi Dieter Prestin, dem seine Laufbahn mehr als 30 Operationen und zwei künstliche Kniegelenke einbrachte, haben Fußballer häufig mit psychischen Spätfolgen zu kämpfen. Neben hohen Belastungen im Profialltag macht vor allem das Karriereende vielen ehemaligen Stars zu schaffen. Laut einer von der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro in Auftrag gegebenen Studie leiden 39 Prozent aller früheren Profifußballer an Depressionen und Angstzuständen.

Wie belastend eine Fußballkarriere und vor allem deren Ende sein kann, weiß Antje Hill, früher selbst international erfolgreiche Voltgiererin und Sport-Psychologin am Neusser St.-Alexius-Klinikum für seelische Gesundheit. "Profis stehen dauerhaft unter Druck", sagt sie. "Sie müssen immer funktionieren und den hohen Ansprüchen genügen, die die Branche an sie stellt." Der Fall Robert Enke hat aufgezeigt, dass es Athleten als Schwäche ausgelegt wird, wenn sie Zweifel zeigen. An so etwas könne man leicht zerbrechen, sagt die Psychologin. Enkes tragisches Schicksal belegt das. Der Nationaltorwart nahm sich das Leben. Depressive Phasen und Unsicherheit passten einfach nicht in das Bild, das Leistungssportler von sich selber haben, erklärt Hill. "Aus diesem Grund fällt es dieser Gruppe besonders schwer, sich nach dem Karriereende Hilfe zu holen." Ohnehin sei für Leistungssportler oft das Ende ihrer Profizeit der eigentliche Auslöser psychischer Probleme. "Nach einer langen Profilaufbahn stehen Fußballer vor der Aufgabe, sich neu erfinden zu müssen", sagt die Psychologin. "Das ist gar nicht so einfach. Deshalb fallen viele in ein seelisches Loch." Das größte Problem sei, dass mit dem Ende der Laufbahn die Alltagsstruktur verloren geht. "Profisportler haben ein durchgetaktetes Leben. Ihnen wird alles vorgegeben. Es gibt feste Zeiten fürs Essen, für die Familie und für Freizeit." Nach der Karriere falle diese Struktur weg. "Und das kann dazu führen, dass sich die Sportler verloren fühlen."

Es sei deshalb für Profis besonders wichtig, sich auf die Phase nach ihrer aktiven Zeit vorbereiten zu können. "Unsere Psyche verlangt nach einem Plan, den wir verfolgen können", sagt Hill. "Ex-Fußballer brauchen neue Aufgaben, mit denen sich die Lücke auffüllen lässt, die das Karriereende in ihre Leben reißt." Gefährdet seien deshalb Sportler, denen das Ende ihrer Karriere wegen Verletzungen plötzlich ins Haus steht. Leistungssportler definieren sich nach den Erfahrungen der Psychologin vor allem über ihren sportlichen Erfolg. "Indem sie ihre Profilaufbahn aufgeben, geben die meisten auch ein Stück ihrer Identität auf."

Typische Krankheitsbilder von Ex-Fußballern seien Depressionen- und Angststörungen. "Aber auch Essstörungen spielen eine Rolle", sagt Hill. "Leistungssportler stellen häufig fest, dass sie ohne feste Ernährungspläne zunehmen." Und weil einige die zusätzlichen Kilos nicht ertragen können, führe das leicht zu Bulimie oder Magersucht.

Deisler beschritt bei der Verarbeitung seiner Probleme einen ungewöhnlichen Weg. Nach Jahren der Zurückhaltung wandte er sich 2009 noch einmal an die Öffentlichkeit - in einem Interview in der "Zeit" und mit einer Botschaft an junge Fußballprofis. "Man muss härter sein als ich", sagte er damals. Er warb in dem Gespräch für seine Biografie. "Zurück ins Leben", heißt sie. Die Veröffentlichung sollte für ihn das Ende seines Leidenswegs markieren. Im Interview nannte er das Buch seinen "Abschlussbericht".

(th)
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