Analyse zur Nationalmannschaft Der Weltmeister spielt noch bayerischer

Vigo/Düsseldorf · Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft orientiert sich taktisch nicht mehr an der spanischen Auswahl, sondern eher an dem Stil, den Pep Guardiola nach München gebracht hat.

Schlüsselmomente für das DFB-Team 2014
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Ungewohnte Töne waren beim Jahresabschluss der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu vernehmen. Als Kapitän sang Sami Khedira erstmals die Hymne mit (zumindest bewegte er die Lippen). Und einen galizischen Dudelsack, der tönt wie die Sirene eines Schrottsammlers, hat das deutsche Fernsehpublikum bei einem Länderspiel selten gehört.

Ungewohnt war auch die Formation. In Sebastian Rudy, Antonio Rüdiger, Ron-Robert Zieler, Karim Bellarabi, Kevin Volland und Shkodran Mustafi standen beim Abpfiff sechs Profis auf dem Platz, die zusammen nur auf 27 Einsätze in der ersten Auswahl kommen.

Ungewohnt war zudem, dass sich Einwechsel-Fachkraft Lukas Podolski im Dauerregen vergeblich warmlaufen musste.

Und ungewohnt war, dass sich in Mario Götze lediglich ein Spieler des FC Bayern auf dem Platz befand. All die anderen Münchner Weltmeister waren verletzt ausgewechselt worden (Thomas Müller), verletzt nicht mitgereist (Bastian Schweinsteiger), angeschlagen nicht mitgereist (Manuel Neuer, Jérome Boateng), zurückgetreten (Philipp Lahm) oder nicht mehr in Diensten des Klubs (Toni Kroos).

Doch gerade in diesem, den Namen nach unbayerischen Spiel, das die deutsche Elf durch den späten Treffer des Madrilenen Kroos mit 1:0 gegen Spanien gewann, wurde deutlich, dass der südbadische Bundestrainer immer bayerischer denkt. Bis ins vergangene Jahr galten die Spanier, die von 2008 bis 2012 drei große Turniere hintereinander gewonnen hatten, als Löws Vorbild. Er habe sich - "ganz ehrlich" - viel von den Iberern abgeschaut, sagte Löw. Doch Spanien ist im Umbruch und hat seine Rolle als Fußball-Leuchtturm des Planeten verloren. Am Dienstagabend endeten acht Jahre ohne Heimniederlage für die "Rote Furie". Die Welt schaut auf die deutsche Nationalelf, und die wiederum ähnelt taktisch immer mehr den Bayern.

Augenfälligstes Merkmal des neuen Deutschland war die Dreierkette in der Abwehr, die Volker Finke beim SC Freiburg zwar schon Anfang der 1990er-Jahre in die Bundesliga brachte, die unter Pep Guardiola in München aber gerade eine Renaissance erfährt. Der im Zentrum untergebrachte Mustafi bezeichnete sich als Libero - obwohl die Spezies seit dem Karriereende von Lothar Matthäus ausgestorben schien und seit dem EM-Debakel 2002 als Merkmal für taktische Rückständigkeit galt. Es kommt eben alles wieder. Mustafi zur Seite standen Rüdiger und der Schalker Benedikt Höwedes.

Der Trainer sorgte mit dieser Abkehr von der zuletzt weltweit zum Standard gewordenen Viererkette für mehr Personal in der von den Spaniern gern bespielten Mitte des Platzes. Und er löste das seit Jahren quälende Problem, dass ihm all die hochgelobten Nachwuchsakademien keine tauglichen Außenverteidiger zur Verfügung stellen.

Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des bayerischen und damit auch des neuen deutschen Stils ist die Variabilität im Mittelfeld. Das Zauberwort heißt "polyvalent". In der Medizin heißt das laut Duden: in mehrfacher Beziehung wirksam, gegen verschiedene Erreger oder Giftstoffe gerichtet. Im Fußball sind damit Alleskönner gemeint (früher gern auch als Allrounder bezeichnet). Diese polyvalenten Spieler tauchen an den unterschiedlichsten Stellen und in den unterschiedlichsten Formationen auf. Genau diese Variabilität und Unberechenbarkeit ist Löws Wunschs fürs neue Jahr. Er wolle 2015 den "taktischen Horizont" seiner Mannschaft erweitern, sagte der Bundestrainer.

Problem dabei: Einen so namhaften Gegner wie die Spanier, der zu hohem Engagement herausfordert und höchste Konzentration verlangt, bekommt die deutsche Elf so schnell nicht mehr vorgesetzt. Bis zum nächsten Länderspiel sind es noch vier Monate. Das Rückspiel in der EM-Qualifikation gegen Polen (Hinspiel: 0:2) und das Prestigeduell mit den Niederlanden werden die Länderspiel-Höhepunkte 2015.

(RP)
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