Härtetest gegen Brasilien Boateng mahnt zur Konzentration

Berlin · Nach dem 1:1 gegen Spanien warnt der Fußball-Nationalspieler vor Selbstzufriedenheit und erinnert an schwache Phasen im Spiel - vor allem in den ersten 30 Minuten. Die Verantwortlichen hören das sicher gerne.

Jérôme Boateng jubelt mit Thomas Müller nach dessen Tor gegen Spanien.

Jérôme Boateng jubelt mit Thomas Müller nach dessen Tor gegen Spanien.

Foto: dpa, jai

Nach dem 1:1 gegen Spanien warnt Jérôme Boateng vor Selbstzufriedenheit und erinnert an schwache Phasen im Spiel - vor allem in den ersten 30 Minuten. Die Verantwortlichen hören das sicher gerne.

Als die Lobeshymnen langsam verklungen waren, als sich die fröhliche Aufregung um das 1:1 im Testspiel Deutschland gegen Spanien legte, das die spanische Zeitung "El Mundo!" eine "schwindelerregende Fußballnacht" nannte, da wurde es mal wieder Zeit für den mahnenden Zeigefinger. Der deutsche Weltmeister Jerome Boateng erhob ihn zuerst. Er erinnerte an einige Unordnung in seinem Team zu Beginn dieser Begegnung, in der es zur Freude der Zuschauer so bildschön rauf und runter ging. "Da kriegen wir drei, vier Konter. Das geht nicht", sagte Boateng, "man sieht, dass wir noch viel Arbeit haben." Und die Augen hinter den Brillengläsern blitzten fast so wie der dicke Brilli im Ohr.

Der unterhaltsame Abend beim Spiel gegen eine spanische Mannschaft, die vor allem in den ersten 20, 30 Minuten das Publikum mit Ballsicherheit und Kombinationen wie auf dem Billardtisch verzückte, zeigte den Deutschen, was sie bei der Weltmeisterschaft in Russland im Sommer erwartet. "Deswegen bin ich sehr zufrieden", stellte Bundestrainer Joachim Löw fest. Nach einer makellosen WM-Qualifikation gegen Teams, die nicht zur ersten Liga im Weltfußball zu rechnen sind, bekommen seine Jungs in den Freundschaftsspielen eine Vorstellung der eigenen Leistungsfähigkeit. Dass der Weg zur Titelverteidigung noch steinig werden kann, bewiesen die Ergebnisse gegen England (0:0), Frankreich (2:2) und Spanien. Sie zeigen die viel beschworene "Augenhöhe".

Derartige Erfahrungen sind auch morgen in Berlin in der Partie gegen Rekordweltmeister Brasilien zu erwarten. Mittelfeldspieler Toni Kroos, der nicht eben zum Überschwang neigt, findet, dass die Brasilianer "zweimal so gut sind wie 2014". Da kamen sie immerhin bis ins Halbfinale, ehe sie nach einem unbegreiflichen 1:7 an der DFB-Auswahl scheiterten. An eine Wiederholung so einer Vorführung glaubt Ende März 2018 niemand. Boatengs Innenverteidiger-Kollege Mats Hummels fasste nach dem Düsseldorfer Unentschieden gegen Spanien zusammen: "Spieler und Trainer werden nicht müde zu betonen, wie hoch die Qualität der besten Mannschaften der Welt ist. Spanien gehört auf jeden Fall dazu."

Brasilien sicher auch. Das Team hat eine zuweilen perfekt funktionierende Mischung aus südamerikanischem Spieltrieb, guter Ordnung, Disziplin und internationaler Härte gefunden. Es wird deshalb erneut jene Fähigkeiten bei den Deutschen fordern, die Boateng zumindest phasenweise schmerzlich vermisste. "Anfangs war alles schlecht", urteilte der Verteidiger, "das Pressing hat nicht geklappt, wir haben die Aufteilung nicht hinbekommen, wir hatten keinen Zugriff. Dann spielt so eine Mannschaft mit dir Katz und Maus." Fast eine halbe Stunde lief die DFB-Auswahl dem Gegner hinterher, der nach einem fantastischen Zuspiel von Andres Iniesta, mit dem er die deutsche Abwehr regelrecht aufschnitt, durch Rodrigo in Führung ging. Dann aber fanden die Spieler von Joachim Löw zu mehr Geschlossenheit in ihrer Abwehrarbeit, sie kamen besser in die Zweikämpfe, gewannen auch mal Laufduelle und konnten ihrerseits mehr Druck ausüben - selbst wenn es Boateng noch immer nicht völlig zufriedenstellte. Er hat allerdings auch hoch entwickelte Ansprüche.

Deutschland glich gegen Spanien aus und kam im Verlauf der Begegnung tatsächlich auf Augenhöhe, weil es mehr Entschlossenheit an den Tag legte. Thomas Müllers Tor mit einem perfekt dosierten Weitschuss drückte das richtig aus. Für Hummels war der Treffer des Münchner Kollegen Ausdruck guter Vorarbeit im Training. "Er übt diesen Schuss", erklärte der "Sachverständige Hummels" (Müller), "und ich bin ein großer Fan davon, wenn Leute sich etwas durch Fleiß aneignen und wenn es sich dann auszahlt."

Boatengs Hang zur Perfektion wird seinen Chefs gefallen

Derartige Einstellung zur Vorbereitung und zum Auftritt auf dem Rasen wünscht sich Hummels' Nebenmann ebenfalls. Boateng verlangt schon gegen Brasilien, "dass wir besser hinten rausspielen, dass wir die Chancen besser verwerten, und dass wir den Ball nicht so schnell verlieren". Bei der Aufzählung fiel er in die nuschelige Sprechweise seiner Berliner Heimat, daher hörte es sich erst recht ziemlich nörgelig an. Seinen Chefs wird so viel Hang zur Perfektion jedoch ganz bestimmt gut gefallen. Bundestrainer Löw, weil der schon seit Wochen im Zusammenhang mit der Titelverteidigung gern das Wort "unmenschlich" strapaziert, und Teammanager Oliver Bierhoff, weil er längst erkannt hat, "dass es in Russland nicht nur Frankreich und Brasilien gibt, sondern auch Spanien".

Aber auch Deutschland, das wurde in Düsseldorf deutlich. Löws Elf trug zu einem der besten Länderspiele seit der WM 2014 maßgeblich bei. Darüber musste Boateng freilich nichts mehr erzählen, es hatten ja alle gesehen. "Wir müssen zusammen als Mannschaft auftreten", sagte er zum Abschluss. Dann stieg er in seinen monströsen Hummer und fuhr in einen freien Tag. Der Motor des Autos grummelte in tiefen Tönen - ganz wie der Fahrer.

(pet)
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