Baustelle Außenverteidiger Löw sucht den Lahm-Klon

Dormund · Joachim Löw geht auch als Weltmeister-Coach die Arbeit nicht aus. Der Rücktritt von Lahm vergrößert besonders die Baustelle Außenverteidigung. Die Liste der Gescheiterten ist lang - und die WM-Lösung kein probates Modell für die EM-Qualifikation.

 Joachim Löw lobt Erik Durm als "wissbegierig und lernwillig".

Joachim Löw lobt Erik Durm als "wissbegierig und lernwillig".

Foto: afp, pst/dg

Jahrelang hätte Joachim Löw seinen Kapitän Philipp Lahm am liebsten geklont. Beim Aufbruch zur EM 2016 in Frankreich wäre der Bundestrainer schon froh, wenn er das Original zumindest noch auf einer Abwehrseite zur Verfügung hätte. Lahms Rücktritt nach dem WM-Triumph hat die größte Baustelle im Team des Fußball-Weltmeisters noch riesiger gemacht - links und rechts fehlt ein Spezialist auf Weltniveau. "Auf den Außenverteidigerpositionen muss man Geduld mitbringen", sagte Löw vor dem Start in die EM-Qualifikation am Sonntagabend in Dortmund gegen Schottland.

Als Weltmeister kann Löw gelassener mit dem Problem umgehen, das ihn schon seit Jahren begleitet - und nervt. "Ich kann sie mir auch nicht schnitzen", entfuhr es Löw vor zwei Jahren einmal. Da verfügte er wenigstens noch über einen Weltklassemann - Philipp Lahm. Der ist jetzt auch weg. "Es gibt immer einen Einschnitt nach einem Turnier", sagte Löw zum Neubeginn ohne den Alleskönner vom FC Bayern. "Es gibt Veränderungen. Wir haben viele junge Spieler und die Aufgabe, sie wieder heranzuführen", erklärte Löw Richtung EM 2016.

Erik Durm (22/Borussia Dortmund) und Antonio Rüdiger (21/VfB Stuttgart) waren die jungen Außenverteidiger-Probanden im ersten Kader, den Löw nach der WM zusammenstellte. "Wir haben Spieler, die sehr weit sind für ihr Alter. Aber sie müssen noch einen großen Schritt machen, um in die Weltklasse zu kommen. Sie brauchen Erfahrung, das hat man gegen Argentinien gesehen", sagte Löw. Er meinte neben Durm auch dessen Dortmunder Kollegen Matthias Ginter (20), der bei der 2:4-Niederlage im Abwehrzentrum überfordert war.

Di Maria erteilt Durm eine Lehrstunde

Der neue Linksverteidiger Durm hatte im zweiten Länderspiel das Pech, auf einen Weltklassemann in Weltklasseform zu stoßen. Löw übte darum Nachsicht mit dem 22-Jährigen, der auch als Weltmeister noch ein Azubi ist: "Es war nicht einfach für Erik gegen Angel di Maria. Das ist ein Spieler, der auf allerhöchstem Niveau spielen kann. Und er hatte einen wahnsinnig guten Tag erwischt." Es sei nicht so einfach, "wenn ein Spieler wie Di Maria plötzlich mit Tempo auf dich zuläuft", gestand Durm nach seiner Lehrstunde in Düsseldorf.

Bei der WM hatte Löw aus der Not heraus eine Lösung geboren, die gewagt war. Er bildete eine Abwehrkette mit vier Innenverteidigern. Die Idee mit Benedikt Höwedes auf der linken Seite erwies sich dabei als Volltreffer. "Das war die bessere Lösung als ein Marcelo oder ein Dani Alves auf dieser Position", sagte Löw in Bezug auf die offensivstarken Außenverteidiger der Brasilianer, die im Halbfinale gegen die deutsche Mannschaft mit 1:7 krachend untergegangen waren.

Im Länderspiel-Alltag gegen Schottland, Polen, Irland, Georgien und Gibraltar sei die Turnierlösung Höwedes aber nicht unbedingt zielführend, wie Löw selbst erklärte: "In einer Qualifikation gegen defensivere Gegner ist es natürlich gut, wenn man offensive Außenverteidiger hat. Da müssen wir Spieler heranführen."

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Etwa Durm. "Erik ist wahnsinnig wissbegierig und lernwillig", sagte Löw über den Jungprofi, den Jürgen Klopp in Dortmund vom Angreifer zum Außenverteidiger umgeschult hat. "Nach vorne hat Erik sehr gute Ansätze. Er ist technisch sehr gut, schnell, lauffreudig, er versucht viel zu bewegen", lobte Löw. Er benannte aber auch die defensiven Defizite deutlich: "Er muss noch im Zweikampfverhalten, im Stellungsspiel, im Beobachten von Situationen etwas lernen."

Rechts wird dem athletischen Rüdiger eine ähnliche Entwicklung zugetraut wie dessen Vorbild Jérome Boateng. Der Modellathlet vom FC Bayern musste noch zu WM-Beginn rechts außen aushelfen, ehe er sich im Turnierverlauf auf seiner Wunschposition im Abwehrzentrum etablieren konnte. "Von Jérome kann ich mir einiges abschauen", sagte Rüdiger, dem Löw tolle Anlagen bescheinigt. "Er hat Schnelligkeit, er hat gute Lösungen im Eins gegen Eins und im Defensivverhalten."

"Das Ziel ist, sie auf dem Weg in den nächsten zwei bis vier Jahren zu begleiten", sagte der Bundestrainer. Wo reihen sich Durm oder Rüdiger ein? Die Liste der gescheiterten Außenverteidiger unter Löw ist lang. Sie umfasst rechts längst vergessene Akteure wie Castro, Hinkel, Beck oder Träsch. Links versuchten sich Fathi, Schäfer, Jansen, Aogo oder zuletzt Durms mal wieder verletzter BVB-Kollege Marcel Schmelzer erfolglos - zum Lahm-Klon taugte keiner.

(dpa)
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