Mertesacker stößt Diskussion an Profisportler überschreiten Grenzen

Düsseldorf · Nach Per Mertesackers offenen Aussagen über den großen Druck im Profifußball ist eine Diskussion entbrannt. Der frühere Nationalspieler Marcell Jansen bezeichnete Mertesacker als Vorbild.

Per Mertesacker nach dem Europa-League-Spiel des FC Arsenal in Köln (Archivbild).

Per Mertesacker nach dem Europa-League-Spiel des FC Arsenal in Köln (Archivbild).

Foto: dpa, mb kno

Valentin Markser haben die Aussagen von Per Mertesacker nicht sonderlich überrascht. Der 65-Jährige führt eine Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie in Köln. Viele seiner Patienten sind Leistungssportler, auch er war einer. Als Handballtorwart in Gummersbach gewann er in den Siebzigern mehrmals den Europapokal. Robert Enke, der Torwart der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der sich 2009 das Leben nahm, war bei Markser wegen seiner Depressionen in Behandlung.

"Seelische Belastungen", sagt Markser im Gespräch mit unserer Redaktion, "gehören, genau wie die körperlichen, zum Leistungssport dazu. Es ist immer eine Wanderung auf der Rasierklinge, seine optimale Leistung zu trainieren und abzurufen. Dazu muss man immer wieder Grenzen überschreiten. Die Kunst ist letztlich, genau den richtigen Punkt zu treffen. Das gelingt allerdings nur den wenigsten." Wissenschaftlicher Schwerpunkt des 65-Jährigen ist die seelische Gesundheit von Profis im Leistungssport. Und das ist auch achteinhalb Jahre nach dem Freitod von Enke noch ein Thema aktuellster Relevanz. Viel zu wenig hat sich geändert, wie die jüngsten Aussagen von Per Mertesacker zeigen.

Mit seinen Aussagen im Nachrichtenmagazin "Spiegel" belebte der frühere Nationalspieler und Fußball-Weltmeister eine Debatte neu, die im Liga-Alltag allmählich wieder in Vergessenheit geraten ist. Mertesacker berichtet bemerkenswert offen, wie sehr er Zeit seiner Profikarriere unter Druck gestanden und gelitten habe, so dass ihm vor Spielen etwa übel wurde, er mit Durchfall aufs Klo musste.

Als "besonders schlimm" bezeichnet er dabei die Zeit während der WM 2006 in Deutschland. Die Nationalelf schied damals im Halbfinale nach einem 0:2 gegen Italien aus. Mertesacker sagt heute, er habe das Ausscheiden damals vor allem als "Erleichterung" empfunden. Damit hat der Profi ein Tabu gebrochen. Viel Zuspruch, aber auch reichlich Kritik haben Mertesackers Aussagen hervorgerufen.

Marcell Jansen, der seine Fußballkarriere mit 29 Jahren beendete, hat großen Respekt vor den Aussagen seines ehemaligen Mitspielers. "Authentisch und ehrlich" seien seine Worte. "Per ist ein echter Führungsspieler, der auch eine Vorbildfunktion für junge Fußballer hat. Wenn du über das nachdenkst, was du als Profi tagtäglich tust, siehst und spürst du auch die negativen Seiten unseres Sports", sagt Jansen. "Diese zu benennen, ist absolut legitim. Sonst bist du kein gutes Vorbild."

Wortführer der "Alles-halb-so-wild"-Seite war Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. "Natürlich stehen die Spieler unter einem gewissen Druck und unter einer gewissen Beobachtung der Öffentlichkeit", hatte Matthäus gesagt, "aber andererseits führt man als Fußballer schon ein super Leben." Mertesacker, der die guten Seiten des Fußballs durchaus nicht verschwieg und sogar sagte, er "würde es wieder tun", habe sich laut Matthäus eine weitere Karriere im Fußball verbaut. Es gibt durchaus Funktionäre in Deutschland, die der Argumentation von Matthäus folgen, sie sogar vollumfänglich unterstützen. Sie zeigen wenig Verständnis für Mertesackers Sichtweise. Denn niemand werde gezwungen, den Job des Profifußballers auszuüben.

"Ich bin nie mit Druck zur Arbeit gefahren, sondern habe meinen Job immer genossen", sagt der ehemalige Profi Jörg Albertz. Der gebürtige Mönchengladbacher kommt auf über 300 Spiele als Berufsfußballer. Albertz sagt, er habe vor allem Vorfreude empfunden. "Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Belastung für aktuelle Profis noch mal enorm gestiegen ist."

Es bleibt die Frage, ob seelischen Problemen von Profisportlern in Zukunft mehr Beachtung geschenkt wird. Laut Markser würden diese noch häufig verleugnet oder stigmatisiert. Er befürchtet, dass es noch Jahrzehnte dauern könnte, bis sich nachhaltig etwas verändert.

(RP)
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