"Reaktionen schwer kalkulierbar" Skepsis nach Thomas Hitzlspergers Coming-out

München · Thomas Hitzlsperger hat mit seinem Coming-out in Deutschland eine Lawine losgetreten. Doch wie es im Fußball mit dem Thema Homosexualität weitergeht, ist völlig offen.

 Thomas Hitzlsperger spielte 52 Mal in der Nationalmannschaft.

Thomas Hitzlsperger spielte 52 Mal in der Nationalmannschaft.

Foto: dpa, Marcus Brandt

Das Bekenntnis zu seiner Homosexualität hat Hitzlsperger viel Zuspruch und Respekt eingebracht — doch die Zuversicht, dass sich schon bald ein aktiver Fußball-Profi in Deutschland outen wird, hält sich in Grenzen. Die große Debatte, die der 31-Jährige ausgelöst hat, wird von Zweifeln begleitet, auch wenn der Schritt als längst überfällig angesehen wird.

Selbst der 52-malige Nationalspieler kann nach seinem Coming-out nicht einschätzen, wie es mit dem bisherigen Tabu-Thema im deutschen Fußball weitergeht. Nach wie vor würde sich die Fußballszene "in Teilen immer noch als Machowelt begreifen", glaubt Hitzlsperger, "das Bild eines schwulen Spielers wird von Klischees und Vorurteilen geprägt."

Dass er von allen Seiten — von der Bundesregierung über den Deutschen Fußball-Bund bis hin zu Bundestrainer Joachim Löw - für seinen Mut gelobt wurde, sei "schön zu hören, aber das ist natürlich auch Teil des Problems", sagte Hitzlsperger der englischen Zeitung Guardian. Er hoffe wirklich sehr, "dass wir eine Zeit erleben werden, wenn niemand mehr in einer solchen Situation von Mut spricht; weil es dann ganz normal sein wird, dass ein Sportler über seine Homosexualität redet wie andere über ihre Frauen oder Freundinnen sprechen".

Der WM- und EM-Teilnehmer, der vor vier Monaten seine Karriere beendete, hatte schon in seiner Zeit als Profi beim VfL Wolfsburg in der Saison 2011/12 überlegt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Er sei jedoch von verschiedenen Leuten gewarnt worden, berichtet Hitzlsperger: "Sie haben alle gesagt: 'Tue es nicht, eine riesige Welle wird über dich hereinbrechen'. Aber am Ende ist mir klar geworden, dass das niemand wissen kann. Es gab keinen früheren Fall, deswegen konnten alle nur darüber spekulieren, was wirklich passieren würde."

Es werde "ein grundsätzlicher Widerspruch aufgebaut", führte Hitzlsperger in einer persönlichen Erklärung weiter aus, "und deswegen will sich kaum ein Profispieler dem Druck aussetzen. Jeder muss wissen, wann und wie er sich positioniert".

Schalkes Sportvorstand Horst Heldt sprach von einem gewissen "Wagnis". Auch Ligapräsident Reinhard Rauball äußerte Skepsis: "Mit Blick auf die enorme Öffentlichkeit im Profifußball wären die Reaktionen im Falle des Outings eines aktiven Profis jedoch weiterhin nur schwer kalkulierbar."

Eine Meinung, die auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach teilt. "Man weiß nie, wie das große Publikum in den Stadien vor allem bei Auswärtsspielen reagiert. Das ist die große Unbekannte. Das kann verletzend und belastend sein", sagte Niersbach.

Deshalb sieht es auch Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff durchaus als Vorteil an, dass Hitzlsperger "kein aktueller Spieler mehr ist, nicht mehr täglich im Fokus der Öffentlichkeit steht. Er kann sich zurückziehen, wann immer ihm danach ist, und dann auch bald das Leben leben, das er sich vorstellt. Bei noch aktiven Spielern ist die Situation ungleich schwerer", sagte Bierhoff im SID-Gespräch. Zumal die Stadien laut Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger "noch immer viel zu sehr von Homophobie geprägt sind".

Was bleibt, ist bei allen die Hoffnung, dass auch im Fußball die Zeit kommt, in der alle mit derartigen Themen entspannt umgehen. "In den nächsten Wochen und Monaten werden sich mehrere outen", mutmaßte Willi Lemke, Aufsichtsratschef von Werder Bremen, bei rbb-Radio: "Ich glaube, dass es jetzt wirklich Zeit ist."

Der 67-Jährige bezog sich aber auf ehemalige Spieler, denn es sei "ein Unterschied, ob du dich outest, wenn du raus aus der Kabine bist oder ob du auch den Mut hast, wenn du im Tagesgeschäft stehst".

Heldt glaubt zumindest, "dass die Fußballszene in Deutschland in den vergangenen Jahren einen großen Schritt vorangekommen ist. Ich glaube, es würde sich von selbst regulieren". Man könne nun "nur hoffen, dass er nicht der Einzige bleibt und jetzt ein paar weitere ehemalige oder aktive Spieler seinem Beispiel folgen und sagen: Hey, wir sind übrigens auch schwul", ergänzte Corny Littmann, Ex-Präsident des FC St. Pauli und bekennender Schwuler, in der Zeitung Die Welt.

Hitzlsperger will anderen Sportlern auf jeden Fall als Vorbild dienen. "Profisport und Homosexualität schließen sich nicht aus, davon bin ich überzeugt", unterstrich er.

Für seine Familie und seine Umwelt sei es auch "unwichtig, dass ich jetzt über meine Homosexualität spreche. Wichtig ist es nur für die Leute, die homophob sind, die andere ausgrenzen aufgrund der Sexualität. Diejenigen sollen wissen: Sie haben jetzt einen Gegner mehr."

(sid)
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