SV Darmstadt 98 Fußball ohne Glanz und Glamour

Darmstadt · Ein Besuch im Darmstädter Stadion am Böllenfalltor ist wie eine Zeitreise in die 1970er Jahre. Am Samstag kommt der deutsche Rekordmeister Bayern München zum Bundesliga-Aufsteiger nach Südhessen.

 Hier spielt am Samstag der deutsche Rekordmeister.

Hier spielt am Samstag der deutsche Rekordmeister.

Foto: dpa, rho hpl

Es wird gebohrt und geschraubt im Innern des Böllenfalltor-Stadions. In Neonfarben gekleidete Männer gehen gemächlich über den verregneten Rasen, fummeln an den Tornetzen herum und befestigen Werbebanden am Spielfeldrand. Es ist die übliche Prozedur im Stadion des SV Darmstadt 98 vor einer für den Bundesliga-Aufsteiger unüblichen Partie. Dass in zwei Tagen der FC Bayern mit Weltmeistern und Champions-League-Siegern anreist, lässt die Uhren nicht schneller ticken an der Nieder-Ramstädter-Straße 170, wo die Tankstelle besser ausgeschildert ist als die schüchtern platzierte Spielstätte. "Ist doch easy", sagt Dirk Schuster mit Badelatschen an den Füßen und verschmitztem Grinsen im Gesicht. "Wir haben nix zu verlieren."

In dieser Saison ist der 47-Jährige mehr als nur ein Bundesliga-Trainer. Das muss er sich zumindest immer wieder anhören. Er sei wie das Oberhaupt dieses berühmten gallischen Dorfes, das sich mit Händen und Füßen gegen die offensichtliche Überlegenheit des Feindes wehrt, schreiben die lokalen Zeitungen. Schuster lässt es über sich ergehen. Hype ist für ihn ein Fremdwort, Tiefstapelei jedoch fest im Jargon verankert. "Es wäre eine riesengroße Sensation, wenn wir die Klasse halten würden", sagt er.

Es fällt schwer, ihm diese Worte nicht zu glauben. Vor allen Dingen, wenn man einen Gang durch das Stadion und die dazugehörigen Katakomben hinter sich hat. Jahrgang 1921. 17.000 Fans Fassungsvermögen. 80 Prozent Stehplätze. So viel zu den groben Fakten. Der zugige Wind des Amateurfußballs fegt über diese Tribünen. Viele Drittligisten haben modernere Spielstätten als die erstklassigen Darmstädter. Doch dafür schämt sich im Verein niemand. Auch nicht für die Tatsache, dass sich Bayern-Trainer Pep Guardiola bei der Pressekonferenz vorkommen wird, als sei er beim wöchentlichen Treffen eines Kegelklubs. Zumindest stehen die Chancen nicht schlecht, dass er dies beim Anblick des länglichen Presseraums vermutet, dessen hintere Wand mit rustikalen Holz verkleidet ist. Kneipenflair. Die Geschäftsstelle liegt nur wenige Schritte entfernt. Sie hat den Charme eines in die Jahre gekommenen Steuerberaterbüros. Aktenschränke, die vor vielen Jahren mal weiß sein sollten, bestimmen den Raum. Investiert wird höchstens in Druckerpapier und Kaffee. An einem Schrank klebt ein Zettel, auf dem handschriftlich "Defekt" steht. Hinter dem Schreibtisch sitzt Michael Müller, Darmstädter Original und seit 20 Jahren ehrenamtlich für die Mitgliederverwaltung tätig. "Jetzt gehtQs zurück ins normale Leben", sagt er, während er sich seine dicke schwarze Fanjacke überstreift. In diesem "normalen Leben" sei er bei der Sparkasse tätig, verrät Müller. Auf die Erwartungshaltung für die Saison angesprochen, muss er fast laut loslachen. "Selbst wenn wir 34 mal auf die Fresse kriegen, isQ trotzdem Party", sagt er.

"Auf die Fresse gekriegt" haben die Darmstädter in dieser Saison noch nicht. Im Gegenteil - sie sind ungeschlagen und auf dem besten Weg sich von "Lilien", wie der Verein auch genannt wird, in Vergissmeinnicht zu verwandeln. Das ein oder andere Veilchen wurde auch schon verteilt, an Bayer Leverkusen etwa vergangene Woche beim 1:0-Auswärtssieg. Zuvor gab es gegen Hannover, Schalke und Hoffenheim Unentschieden. Mit sechs Punkten steht Darmstadt auf Platz elf.

Doch was ist das Geheimnis dieser unbeugsamen Darmstädter? "Die Teamleistung ist wichtig. Es geht nur zusammen", sagt Mittelfeldspieler Marcel Heller. Eigentlich eine der am häufigsten verwendeten Floskeln im Fußball, doch in Darmstadt trifft sie den Nagel auf den Kopf. In den bisherigen Bundesliga-Partien präsentierten sich die "Lilien" als Einheit mit engmaschiger Defensive. Ihr Erfolgsmotto: Erstmal kein Tor kassieren, wir müssen nicht unbedingt eins schießen.

Dieser Spielstil ging besonders den ambitionierten Teams aus Leverkusen und Schalke, die drei Punkte gegen den Außenseiter eingeplant hatten, auf die Nerven. "Das interessiert mich nicht", kommentiert Dirk Schuster nüchtern. Was ihn ebenso wenig interessiert, ist der Gesichtsausdruck der Bayern-Stars, sobald sie zum ersten Mal die nicht gerade eines Meisters würdige Gästekabine betreten: "Die werden sich davon nicht beeindrucken lassen." An der Tür der Umkleide, die Erinnerungen an den Schulsport hochkommen lässt, klebt ein Papier mit der Aufschrift "U19 bitte in Kabine 2 und 3 umziehen". Götze und Co. können also ein wenig beruhigter sein: Darmstadts Nachwuchskicker ziehen sich am Samstag ausnahmsweise woanders um.

(RP)
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