Bayer Leverkusen "Mein Werdegang ist ungewöhnlich"

Leverkusen · Der Torwarttrainer von Bayer 04 über Luft nach oben bei Bernd Leno, das beste Torwartalter und seinen Weg zu den Profis.

 David Thiel arbeitet seit Sommer 2012 als Torwarttrainer bei den Profis von Bayer 04.

David Thiel arbeitet seit Sommer 2012 als Torwarttrainer bei den Profis von Bayer 04.

Foto: ksmedianet

Herr Thiel, im Mai 2012 teilte Bayer 04 mit, Sie würden in der Saisonvorbereitung das Torwarttraining übernehmen. Das klang nach einer Übergangslösung. Wann ist daraus eine Dauerlösung geworden?

Thiel Relativ schnell. Schneller jedenfalls, als wohl ursprünglich angedacht. Es hieß damals tatsächlich, man wolle nach der Vorbereitung mal schauen, wie es so läuft. Da es aber anscheinend ganz vernünftig gelaufen ist, hat man mir schon nach der Hälfte der Vorbereitung gesagt, dass ich es dauerhaft machen könnte.

Damals waren Sie 27, also noch nicht mal in einem Alter, in dem Fußball-Plattitüden einem Torwart "das beste Alter" zuschreiben.

Thiel Ja, ich denke, mein Werdegang ist tatsächlich eher ungewöhnlich. Wenn man zu anderen Vereinen blickt, sind die meisten Torwarttrainer ehemalige Torhüter, die eine lange Karriere hinter sich haben. Ich dagegen habe hier im Jugendbereich bei Bayer angefangen, Torhüter zu trainieren, da war ich noch 17. Also war ich bei meinem Start im Profibereich auch schon zehn Jahre dabei.

Es waren zehn Jahre kontinuierlicher Steigerung.

Thiel Ja, angefangen hat alles bei den jüngeren Jugendteams, damals noch parallel zu meiner aktiven Zeit. Aber spätestens, als ich der erste hauptamtliche Torwarttrainer im Nachwuchsbereich wurde, hatte ich natürlich unheimlich viel Zeit und Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln.

Gibt es das angesprochene "beste Torwartalter" heutzutage überhaupt noch?

Thiel Ja, ich denke schon, aber es kommt definitiv früher. Auf der einen Seite sind Jungs wie Bernd Leno oder Marc-André ter Stegen immer noch Ausnahmeerscheinungen, die so früh schon so stabil in ihren Leistungen sind, aber generell sind Torhüter heute wesentlich früher in der Lage, in der Bundesliga zu spielen. Früher ging vieles über Erfahrung, heute werden die Torhüter viel früher viel besser ausgebildet.

Sie sind einer dieser Ausbilder — aber mit 27 und ohne ein Bundesligaspiel, hatten Sie da keine Sorgen um die Akzeptanz bei den Profis?

Thiel Darüber nachgedacht habe ich natürlich schon. Für mich war aber von vornherein klar, dass ich den Jungs nicht erzählen kann, ich hätte das früher in der Champions League so und so gemacht — habe ich ja nicht, ich habe weder Bundesliga gespielt noch Champions League. Aber es ist letztlich eine Frage, wie man den Spielern begegnet. Ich bin nicht der, der von oben herab coacht. Wir tauschen uns viel aus und unterhalten uns in der Gruppe unheimlich oft über Szenen, die einem aufgefallen sind.

Ihr Anteil an der Verpflichtung von Bernd Leno war sicher nicht die schlechteste Eigenwerbung. Erzählen Sie doch mal, wie das damals abgelaufen ist.

Thiel Der Anstoß kam von unserer Scoutingabteilung. Bernd zum ersten Mal live gesehen habe ich etwas mehr als ein halbes Jahr vor seiner Verpflichtung. Damals spielte er mit Stuttgart II in der 3. Liga in Offenbach. Was direkt auffiel, war, dass er sich von nichts hat aus der Ruhe bringen lassen. Ich habe ihn dann auch im Training beobachtet, und dann hat sich immer mehr ein Bild zusammengesetzt, dass er zweifelsohne Bundesliganiveau hat. Durch die Verletzung von René Adler ist dann ja viel Tempo in die Geschichte gekommen. Und der Verein hatte den Mut, auf ihn zu setzen.

Sind Torhüter eigentlich besonders anspruchsvoll, was Abwechslung bei den Übungen angeht, weil die Gefahr der Monotonie groß ist?

Thiel Ein guter Mix ist wichtig für die Attraktivität des Trainings, keine Frage. Aber ständig nur neue Übungen einzuführen, bringt auch nichts. Man muss schon gewisse Dinge kontinuierlich wiederholen. Ein Torhüter fühlt sich letztlich wohler, wenn gewisse Abläufe wiederholt werden.

Wie viel Prozent des Torwarttrainings befassen sich bei Ihnen mit dem Halten von Bällen und wie viel mit der Einbindung ins Spiel der eigenen Mannschaft?

Thiel Bei mir liegt immer noch ein gehöriger Schwerpunkt auf der so genannten Tor-Verteidigung, weil ich glaube, dass es immer noch Aufgabe Nummer eins eines Torhüters ist. Dafür gibt es diese Position ja auch irgendwo. Aber natürlich haben sich die Anforderungen an das Mitspielen enorm entwickelt. Auf höchstem Niveau liegt dieser Anteil bei 70 Prozent der Aktionen, sagt man heute. In einer normalen Trainingswoche geht es bei mir dann auch einen ganzen Tag um Spieleröffnung. Dass das Mitspielen dennoch nie die Bedeutung des Tore-Verhinderns übersteigen wird, liegt einfach an der Wichtigkeit dieser Qualität. Hier kosten Fehler Gegentore, in der Spieleröffnung ist dies viel seltener der Fall.

In welchen Bereichen hat Bernd Leno noch Luft nach oben?

Thiel Ich glaube, dass er in allen drei Teilbereichen — Tor-Verteidigung, Raum-Verteidigung, Spieleröffnung — ein sehr hohes Ausgangsniveau hat. Seine Raum-Verteidigung kann er noch etwas aktiver gestalten, und in der Spieleröffnung kann er auch noch zulegen. Bei der Tor-Verteidigung muss man zwar immer dran bleiben, hier ist er aber wirklich konstant auf Top-Niveau.

Waren sein emotionaler Ausbruch in Stuttgart und sein Patzer gegen Mönchengladbach ein Beweis dafür, dass dieser Mann auch keine Maschine ist?

Thiel Ja, mit Sicherheit. Aber nehmen wir die Szene gegen Gladbach, in der er den sicher geglaubten Ball fallen lässt. Solche Fehler werden jedem Torhüter immer wieder mal passieren — auch auf Weltklasseniveau. Das ist für mich insofern kein Mangel an Qualität, sondern ein Moment der Unachtsamkeit. Und genau das ist für Bernd Herausforderung und Anspruch. Unsere Mannschaft lässt ja meistens nur wenige Torchancen zu, und dann muss er trotzdem da und hellwach sein.

Ganz nebenbei kommt Leno — wie die meisten Bundesliga-Torhüter — in der Regel auf knapp fünf Kilometer Laufleistung im Spiel.

Thiel Das meint man gar nicht, oder? Aber die vielen kleinen Bewegungen, das Verschieben im Raum, das läppert sich auch.

Können Sie eigentlich privat noch Fußball gucken, ohne die Leistung des Torhüters zu analysieren?

Thiel (lacht) Nein, ehrlich gesagt, nicht.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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