MSV Duisburg Karsten Baumann: "Die Phase ohne Druck ist vorbei"

Duisburg · Der Trainer des MSV Duisburg ist heute 100 Tage im Amt – eine Bestandsaufnahme und ein Blick auf Bayern München.

Der Trainer des MSV Duisburg ist heute 100 Tage im Amt — eine Bestandsaufnahme und ein Blick auf Bayern München.

Am Montag hatten Sie Ihren 44. Geburtstag, heute sind Sie 100 Tage Trainer des MSV Duisburg. Wie ist es, wenn man so viel zu feiern hat?

Karsten Baumann Für mich war ja jeder Tag hier beim MSV ein Feiertag. Ernsthaft. Es hat von Anfang an Spaß gemacht und es gab immer ein positives Umfeld. Normalerweise kommst du ja irgendwo als Trainer hin, weil jemand entlassen wurde und du die Mannschaft aus dem Tabellenkeller führen sollst. Hier hatten wir überschaubaren Druck, weil keiner etwas erwartet hat. Das macht das Arbeiten leichter.

Die Lizenz war lange fraglich, der Kader stand erst kurz vor Saisonstart und es gab nur elf Tage Vorbereitung. Klingt nach Himmelfahrtskommando und ziemlich viel Druck.

Baumann Nein — es klingt nach ziemlich großer Herausforderung. Es konnte eigentlich nur gut laufen. Ich war mir sicher, dass wir alle zusammen eine konkurrenzfähige Mannschaft auf den Platz kriegen. Ivo Grlic (Sportdirektor, Anm. d. Red.) hat in dieser ungewöhnlichen Situation erstklassige Arbeit geleistet. Dass am Anfang nicht alles funktionieren kann, war ja auch klar. Aber wir haben das zusammen gut hingekriegt. Das vorgegebene erste Ziel, die Klasse zu halten, werden wir erfüllen. Da war und bin ich mir sicher.

Ein Zitat aus Ihrer Anfangszeit in Duisburg lautet: "Einfach kann jeder. Wir werden zeigen, dass eine lange Vorbereitung überbewertet wird."

Baumann Scheint ja auch zu stimmen. Ohne Vorbereitung im Mittelfeld der Liga zu stehen, würden einige Trainer gerne nehmen. Das war aber mehr im Scherz gemeint. Klar ist, dass wir mit einer vernünftigen Vorbereitung besser dastehen würden. Wir hatten keine Möglichkeit, Sachen einzustudieren oder auszuprobieren. Die ersten anderthalb, zwei Monate haben wir ja gebraucht, um uns kennenzulernen. Das alles war schwer, aber keine unmögliche Aufgabe, vor dem Hintergrund, dass man uns Zeit gegeben hat. Allen voran Ivo und die Fans.

Bei Ihrem ersten Training waren 1000 Fans da. Wie war das?

Baumann Irre. 1000 Leute beim Training — das kannte ich zwar aus Köln, aber da war traditionell mehr los, wenn es mal nicht so gut lief. Hier war allein die Stimmung, wenn man durch die Leute zum Trainingsplatz ging, bewegend. So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Was lief bisher für Sie als Trainer gut?

Baumann Es ist uns gelungen, eine Mannschaft zusammenzuschweißen. Die Jungs haben das selbst geschafft und einen sehr guten Team-Spirit entwickelt. Für viele war das hier ja wirklich ein Neuanfang.

Und sportlich?

Baumann Mit der Abwehrleistung insgesamt bin ich zufrieden. Gleich im ersten Spiel gegen Heidenheim haben wir gut verteidigt und kompakt gestanden. Dass es mal nicht so läuft, wie gegen Darmstadt, kann passieren, aber mit einer guten Vorbereitung wäre es wahrscheinlich nicht 0:4, sondern nur 0:2 ausgegangen. Und auch wenn wir nicht unseren besten Tag haben, können wir gut stehen. Bezeichnend ist, dass wir die meisten Gegentore nach Standards bekommen haben — da zähle ich direkte Freistöße noch nicht einmal dazu. Das spricht für die Truppe, dass sie im Feld gut steht.

Müssen Sie als Trainer nicht Gegentore nach Standards verhindern?

Baumann Wenn die Zuteilung bei einem Freistoß stimmt und ein Gegner blockt einen meiner Spieler weg — wie soll ich das verhindern?

Ich ziehe die Frage zurück. Anders: Was trainieren Sie, um Gegentore nach Standards zu vermeiden?

Baumann Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass wir bei seitlichen Freistößen anfällig sind. Daraufhin haben wir in den letzten drei Spielen von Raum- auf Manndeckung umgestellt — und seitdem kein Gegentor nach einem seitlichen Freistoß mehr kassiert. Und bei einer Ecke haben wir, glaube ich, noch gar kein Tor bekommen (klopft glücksbringend auf den Holztisch).

Und was lief bisher nicht so gut?

Baumann Generell hätte ich gerne mehr Punkte auf dem Konto. Und im Offensivspiel müssen wir uns noch verbessern. Dafür braucht man aber auch mehr Zeit als für die Defensive.

Wieso das?

Baumann Das hat mit blindem Verständnis für seine Mitspieler und Spielfreude zu tun. Wir müssen die Spieler sensibilisieren, dass sie heiß darauf sein müssen, ein Tor zu schießen.

Sollten sie das nicht sowieso sein?

Baumann Ja, aber das sind halt auch alles verschiedene Spielertypen. Der eine sieht sich mehr als Vorbereiter, der andere will eher aus der zweiten Reihe schießen. Mir geht es darum: Wir haben zu oft Situationen, in denen wir zu wenig Spieler in der gefährlichen Zone, also im gegnerischen Strafraum, haben. Das wollen wir ändern.

Ein Stichwort, das in dieser Saison häufiger fiel, hieß Konstanz. Wie trainiert man die?

Baumann Konstanz heißt ja für eine Mannschaft, dass jeder einzelne Spieler es schafft, Woche für Woche seine Leistung abzurufen. Spieler, die das immer schaffen, spielen vielleicht aber auch nicht in der dritten, sondern in der zweiten oder ersten Liga. Dass das hier noch nicht so funktioniert, wie wir uns das erhoffen, ist zum Teil natürlich auch der fehlenden Vorbereitung geschuldet. Heidenheim zum Beispiel hat nicht nur eine richtige Vorbereitung gehabt, sondern seit fünf Jahren zu 80 Prozent die gleiche Besetzung. Da ist es natürlich einfacher, Automatismen zu entwickeln. Konstanz heißt aber auch, dass du als Trainer nicht immer die gleichen Themen ansprechen musst. Wenn es mit dem Flanken nicht klappt, übst du das, bis es besser wird. Dann erwarte ich aber auch, dass die Spieler in vier Wochen diese Vorgaben verinnerlicht haben.

Nach dem 0:1 in Elversberg haben Sie gesagt, die Mannschaft müsse langsam entscheiden, wo sie hin will. Wo soll sie denn hin?

Baumann Sie hat ganz klar mehr Potenzial als der derzeitige Tabellenplatz ausdrückt. Ich wollte damit sagen, dass die Phase ohne Druck vorbei ist. Die Mannschaft muss daran glauben, dass mehr drin ist als Platz zehn. Ich glaube nicht, dass viele Mannschaften in dieser Saison besser sind als wir.

Andere Vereine sind aber finanziell besser aufgestellt. Bis zum 31. Oktober muss der MSV dem DFB wieder seine Wirtschaftlichkeit nachweisen. Was ist, wenn es dann nicht reicht?

Baumann Damit beschäftige ich mich nicht. Wir als Sportler können das Ganze ja nur so beeinflussen, dass wir gut spielen und so die Zuschauer ins Stadion locken.

Zum Abschluss noch ein Zitat aus Ihrer Vergangenheit: "Der MSV ist ein absoluter Traditionsverein, auf einer Höhe mit dem 1. FC Köln."

Baumann Ich glaube, ich habe das noch relativiert und auf die Trainingsmöglichkeiten und das Stadion reduziert. Damit — und der guten Jugendarbeit und der großen Zahl der Fans — hat der MSV durchaus das Potenzial, wieder dahin zu kommen, wo er einmal war.

Kölns Trainer Peter Stöger hat bei seinem Amtsantritt gesagt, er sehe den FC auf einer Ebene mit Bayern München. Heißt in der Gleichung: MSV gleich Köln gleich Bayern. Hört sich doch gut an, oder?

Baumann (grinst) Herr Stöger ist ein hervorragender Trainer. Aber als Österreicher kennt er den deutschen Fußball vielleicht noch nicht so.

GEORG AMEND FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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