Analyse Brasiliens Rolle rückwärts in die Zukunft
Düsseldorf · Heute soll der neue Trainer der Selecao vorgestellt werden. Carlos Dunga wird vier Jahre nach seinem Rauswurf zurückkehren.
Heute will der brasilianische Fußballverband in seine Zukunft aufbrechen. Gut eine Woche nach dem Ende der Fußball-Weltmeisterschaft und zwei Wochen nach der historischen 1:7-Niederlage im Halbfinale gegen Deutschland präsentiert der fünfmalige Weltmeister seinen neuen Trainer. Es wird sich niemand wundern, wenn der neue Mann ein alter Bekannter ist. Carlos Dunga ist der große Favorit für den Posten. Das meldeten brasilianische Medien bereits am Wochenende. Schon von 2006 bis 2010 betreute Dunga die Selecao. In Südafrika scheiterte er mit seiner Mannschaft im Viertelfinale an den Niederlanden (1:2). Und damit schien das Thema Dunga keines mehr zu sein, denn er durfte seine Koffer packen.
Nun kehrt er zurück. Das gefällt bestimmt nicht allen. Bereits in seiner ersten Amtszeit war er nicht der Mann, den in Brasilien die Massen lieben. Er steht für eine vergleichsweise nüchterne Spielweise, die er selbst "effizient" nennt. Sie orientiert sich am früher mal in Europa üblichen sachlichen, erfolgsbetonten Fußball. Mit "O Jogo Bonito", dem schönen Spiel, das den brasilianischen Fans ein nationales Anliegen ist, hat sie nichts zu tun.
Auf diese Art bescherte Dunga seinem Land zwar einen Erfolg in der Südamerika-Meisterschaft und den Sieg im Confed-Cup. Die meisten Fußball-Freunde aber waren froh, als Dunga nach der verpatzten WM in Südafrika gehen musste. Sie hatten ihn auch nicht geliebt, als er mit jenem nutzwertigen Spiel, das er nun der Nationalmannschaft verpasste, als Spieler und Kapitän der Selecao den WM-Titel 1994 gewann.
Dungas Rückkehr ins Amt ist trotz des mangelnden Rückhalts in der Fußball-Gemeinde typisch für die Verbandspolitik. Viele seiner Vorgänger waren in ihrer Laufbahn schon einmal vom Hof gejagt worden, ehe sie in einer tiefen Krise als Hoffnungsträger wieder anheuern durften. Und tiefe Krisen hat Brasiliens Fußball immer dann zu bewältigen, wenn es mal wieder nicht zum Weltmeistertitel gereicht hat - in jüngerer Vergangenheit alle vier Jahre. Seit 2002 hat das größte Fußballland der Erde das wichtigste Turnier nicht mehr gewonnen. Von Dunga erwartet der zerrissene Verband zumindest eine Bündelung der Kräfte. Zweifel sind erlaubt. Denn genau das ist nämlich schon seinem Vorgänger Felipe Scolari nicht gelungen. Der aber hatte mit seiner väterlichen Art großen Rückhalt bei den Fans, den Kredit des Titels von 2002 und eine Auswahl prominenter Spieler. Er musste allerdings feststellen, dass allein die Absicht, auf in Europas Topklubs geschulte Abwehrkunst und Neymar zu setzen, nicht ausreicht.
Dunga hat vielleicht eine Spielidee, aber er hat keine andere Auswahl an Arbeitskräften. Was der brasilianische Fußball viel dringender braucht, ist eine bessere Organisation an der Basis. Echte Aufbauarbeit nach deutschem Vorbild in Fußballschulen, die der Entwicklung von Talenten und nicht in erster Linie dem Profit von Fußball-Unternehmern dienen. Dieser Weg ist viel weiter als der deutsche. Und die Deutschen brauchten zehn Jahre, ehe sie am vorläufigen Ende mit dem Titel belohnt wurden.