Kolumne: Gegenpressing Das offenste Geheimnis der WM

Düsseldorf · Vor Fußball-Weltmeisterschaften werden immer Geheimtipps gehandelt. Zuletzt waren das zumeist afrikanische Mannschaften. Dieses Mal schlüpft Belgien in diese wenig erfolgversprechende Rolle.

Marc Wilmots ist mit Belgien Geheimfavorit bei der WM.

Marc Wilmots ist mit Belgien Geheimfavorit bei der WM.

Foto: afp, jnk/agz

Sie kennen doch Schlemihl. Diesen Typen aus der Sesamstraße, der in seinem Mantel irgendwelches Zeug verbirgt, potenziellen Kunden (zum Beispiel Ernie) ein "Pssssst" zuraunt und ihnen sagt, dass das, war er ihnen anpreist, ganz "geheiiiiim" sei.

In den Tagen vor Fußball-Weltmeisterschaften sind immer viele Schlemihls unterwegs, die ihre Geheimnisse, in diesem Fall Geheimtipps, anbieten. Vor den zurückliegenden Turnieren warben sie gern für afrikanische Teams, besonders gern Nigeria. Und wie Schlemihls unsichtbares Eis, das er dem guten Ernie andrehte, taugten die Geheimtipps der Experten in der Regel nicht viel. Siehe: Nigeria.

Die WM-Geheimtipps haben es im Unterschied zum unsichtbaren Eis an sich, dass sie alles andere als geheim sind. Seit Monaten wird Belgien als der Geheimtipp für Brasilien schlechthin gehandelt. Der Tipp ist so - ha,ha - geheim, dass "Geheimtipp Belgien" bei der Google-Suche tausendfach erscheint und in der Sportberichterstattung vielerorts zu einer untrennbaren Kombination geworden ist. Von wegen geheim. Die Belgier stehen in der Weltrangliste vor den als weniger geheim eingestuften Teams aus den Niederlanden und Frankreich. Dass Flamen und Wallonen nicht nur Kartoffeln frittieren und Pralinen kreieren, sondern auch vorzüglich kicken können, hat sich herumgesprochen. Und wer eine "Kampfsau" als Trainer hat (Marc Wilmots wird seit Schalker Zeiten liebevoll so genannt) muss ohnehin gut sein.

Das Blöde an all den Geheimfavoriten ist, dass sie den Vorschusslorbeeren bei Weltturnieren nie gerecht wurden. Überraschungs-Europameister gab's (Dänemark 1992 und Griechenland 2004), auf einen Sensations-Weltmeister wartet die Welt aber seit den 50er-Jahren.

Doch wer holt den Titel, wenn's die Belgier nicht machen? Die Wissenschaft (sprich Berenberg-Bank und Hamburger Weltwirtschafts-Institut) hat gerade in einer Studie festgestellt: "Es ist ein bekanntes Phänomen, fast schon ein Ärgernis und auf jeden Fall ein rätselhaftes Paradoxon: Die WM-Tippspiele unter Freunden, in der Familie oder auf der Arbeit werden mit boshafter Regelmäßigkeit von jenen gewonnen, denen man vorher am wenigsten Fußball-Sachverstand attestiert hatte." Ein Grund: Die Experten machen sich mit ihrem Spezialwissen zu sehr "einen Kopp" beim Tippen. Sie bewerten den Kleinkram zu hoch und liegen in der Regel falsch.

Wenn Sie also wissen wollen, wie Sie tippen sollen, fragen Sie irgendjemanden, aber bitte, bitte keinen Sportredakteur.

Ihre Meinung? Schreiben Sie uns: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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