Der heimliche WM-Star Miguel Herrera: Rumpelstilzchen am Spielfeldrand

Düsseldorf · Miguel Herrera starrt ganz kurz in den Nachthimmel von Recife. Lässt das Geschehene in Sekundenbruchteilen sacken. Dann bricht es aus ihm heraus. Er reckt beide Fäuste in die Luft. Reißt den Mund weit auf und schreit seine Freude heraus. Dann muss er seine Emotionen teilen. Schnappt sich Paul Aguilar. Wirft sich auf seinen Abwehrspieler und wälzt sich mit ihm auf dem Boden. Rappelt sich auf und springt schließlich Torhüter Guillermo Ochoa in die Arme.

Das Netz feiert Mexikos Nationalcoach Miguel Herrera
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Foto: afp, Desk

Cristiano Ronaldo? Untergegangen. Andres Iniesta? Ausgeschieden. Wayne Rooney? Abgemeldet. Stattdessen entwickelt sich der mexikanische Nationaltrainer zum heimlichen Star der Weltmeisterschaft in Brasilien. Erst recht nach dem Achtelfinaleinzug Mexikos.

Mexiko-Trainer Herrera rastet aus vor Freude
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Ohne Hals, aber mit Bauch

Erfolgsgarant ist der kleine, etwas untersetzte Mann mit den durchdringenden Augen. Herrera steht unter Strom. Lässt er seinen Emotionen freien Lauf, scheint es, als quillen ihm die Augen aus dem Kopf. Keinen Hals hat er, dafür einen kleinen Wohlstandsbauch. Wenn "El Piojo" (die Laus) wie Rumpelstilzchen durch die Coaching Zone wütet, lamentiert und protestiert, packt einen die nackte Angst, seine Krawatte könnte ihm die Luft abschnüren. BVB-Trainer Jürgen Klopp wirkt neben Herrera introvertiert.

Mexiko-Fans feiern Achtelfinal-Einzug
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Und sieht man Herrera am Spielfeldrand wie einen Irrwisch herumwuseln, wirkt es fast unglaublich, dass sich das 1,68 Meter kleine Energiebündel während seiner Karriere als Profi aufgrund von Mangel an Disziplin selbst im Weg stand. Aber dadurch wohl auch erst zu dem wurde, was er ironischerweise heute ist: ein Disziplinfanatiker. Und eine ehrliche Haut noch dazu.

Hernandez hat nach Tor Tränen in den Augen
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Auf "nur" 14 Länderspiele kam der 46-Jährige. Bei der WM 1994 lernte er eine Lektion fürs Leben. Trotz Zusage des damaligen Nationaltrainers Miguel Mejia Baron durfte er nicht mit. "Wenn du etwas zu sagen hast, dann reiß dich zusammen und hab wenigstens die Eier, Leuten ins Gesicht zu sagen, dass du deine Meinung geändert hast", sagte Herrera.

Das tat er bei seinem Star Carlos Vela. Der war 2010 wegen exzessiver Saufgelage nach einem Länderspiel für ein halbes Jahr suspendiert worden. Das Verhältnis zwischen Vela und Verband war fortan schwierig. Herrera, der vor den Play-offs zur WM gegen Neuseeland (5:1 und 4:2) das Amt in Mexiko übernahm, verzichtete auf den Störfaktor. "Ich brauche Spieler, die komplett darauf fokussiert sind, unsere WM-Teilnahme zu sichern", sagte er.

100-prozentige Identifikation

Im Februar versuchte er es noch einmal, suchte das Gespräch mit dem Stürmer von Real Sociedad San Sebastian. Vergeblich. Vela sagte, er sei emotional und mental nicht in der Lage, eine WM zu spielen. "Für mich ist die Sache klar: Ich werde mich an die Menschen halten, die sich zu 100 Prozent mit der Nationalmannschaft identifizieren", tobte er damals.

Als Identifikationsfigur geht er inzwischen selbst voran. Und reißt ein ganzes Land mit. Herrera twittert fleißig, dabei gerne auch mal die Mannschaftsaufstellung. Nach dem Sieg gegen Kroatien gab es das obligatorische Selfie mit dem ganzen Team. ARD-Experte Mehmet Scholl wirkte fast schon wehmütig, als er anmerkte, er hätte während seiner Karriere gerne solch einen Trainer gehabt.

Heuchelei ist für Herrera Hochverrat, unbedingter Wille, Nähe und Teamgeist eine Grundvoraussetzung. Seine eigene Bescheidenheit kommt an. Herrera gibt sich mit 155.000 Euro im Jahr zufrieden. Zum Vergleich: Fabio Capello bekommt über acht Millionen und steht mit Russland vor dem Aus.

Vision vom Finale

Und schließlich hat Herrera auch eine Vision. Vor dem Turnier sagte er: "Wir müssen von Beginn an die Vision haben, dass wir ins Finale kommen können. Die Geschichte des Fußballs stützt meine Worte zwar nicht, aber wir haben ein tolles Team und großartige Infrastruktur in Mexiko. Es fehlt nur die Mentalität, um uns selbst solche Ziele zu setzen." Herrera lebt diese Mentalität vor. Mit Haut und Haaren. Und nach dem emotionalen Erfolg gegen Kroatien auch verbal. Immerhin wartet nun die Niederlande.

"Wir sind bereit", sagte er nach dem Achtelfinal-Einzug und grinste breit: "Oder sehen sie mich zittern?" Die Kampfansage folgte auf dem Fuße. "Wir haben im Turnierverlauf schon bewiesen, dass wir gegen große Mannschaften bestehen können", sagte Herrera, "deswegen habe ich keine Angst. Wir wollen bei diesem Turnier Geschichte schreiben und bis ins Finale vordringen."

Man würde es ihm wünschen.

(are)
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