Weltmeister scheiterte nicht wegen "Tiki-Taka" Spanien-Experte Ronald Reng "kotzt sich aus"

Düsseldorf · Auf das frühe Aus von Weltmeister Spanien bei der WM in Brasilien folgte der flächendeckende Abgesang auf das "Tiki-Taka". Einer stimmt nicht darin ein: Spanien-Experte Ronald Reng.

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Foto: ap

"Spanien ist gescheitert, weil sie ihren Stil nicht mehr konsequent umsetzen", schreibt Reng in einem langen Eintrag bei Facebook, dem er die Überschrift "Ausgekotzt" gegeben hat. Ein Titel, der durchaus wörtlich genommen werden darf. Denn Reng schreckt nicht vor drastischen Formulierungen und gar Beleidigungen zurück.

Alles beginnt mit einem Exkurs in die Semantik. "So oft es auch wiederholt wird: Das spanische Spiel von den kontinuierlichen Passkombinationen heißt nicht Tiki-Taka, sondern el toque, zu deutsch: 'die Berührung des Balles', erklärt Reng. "Schwachsinnig", seien die Abgesänge auf das "Tiki-Taka" der Spanier, das erstens gar nicht so heißt und zweitens von den Spaniern in Brasilien gar nicht vollführt würde.

Reng muss sich Luft machen. Der freie Journalist hat lange in Barcelona gelebt, aus erster Hand über den spanischen Fußball berichtet und sich besonders intensiv mit dem unter Pep Guardiola geprägten Ballbesitz-Fußball des FC Barcelona auseinandergesetzt. Bekannt wurde er unter anderem mit seiner einfühlsamen Biografie über Torwart Robert Enke ("Ein allzu kurzes Leben"), mit dem ihn seit der gemeinsamen Zeit in Barcelona eine Freundschaft verband. "Spanien hat unter Trainer Vincente Del Bosque schon seit 2009 überhaupt nicht mehr den wahren el toque gespielt, sondern nur noch einen degenerierten Abklatsch: Der totale Ballbesitz diente in erster Linie nur noch der Verteidigung", sagt Reng.

"Vorgestanzter Blödsinn"

Analysen, wonach das grandiose Scheitern der Spanier in Brasilien auch das Ende eben dieses "el toque" bedeuten würde, hält Reng für "vorgestanzten Blödsinn". "Spielstile überleben alle Niederlagen, verändern sich, leben in Varianten neu auf", meint Reng. "Oder ist etwa Borussia Dortmunds Stil vom rasanten Ballzurückerobern und sofort in den Angriff übergehen zu Ende, weil sie gegen Real Madrid in der Champions League ausschieden? Spielt etwa niemand mehr Catenaccio, nur weil Mourinho gegen Barcas el toque so oft scheiterte?"

Die Gründe für das Vorrunden-Aus der spanischen Nationalmannschaft seien nicht im Stil zu suchen. Vielmehr sei Spanien wegen der fehlenden Schnelligkeit, der fehlenden Varianz im Passspiel und der fehlenden Aggressivität im Defensivspiel gescheitert. "Wer solche Mängel aufweist, kann mit keinem Stil gewinnen", schreibt Reng.

Auch die Vorwürfe, der spanische Stil sei langweilig, bringen Reng auf die Palme. "Er gab den Kreativen, den Pass-Erfindern wie Xavi und Iniesta, endlich die Bühne vor den Simplen und Kräftigen. Langweilig war allenfalls die Dominanz von Barca, aber das lag nicht am Stil, sondern an der Schwäche der Gegner", so die Meinung des gebürtigen Frankfurters.

"Die deutsche Nationalelf, übrigens, spielte beim 4:0 gegen Portugal einen Stil, der näher am el toque lag als sonst an einem Stil. Ich weiß nicht, ob es jemand langweilig fand", sagt Reng, der in seinem glühenden Plädoyer für "el toque" leider eines vergisst: die guten Umgangsformen. Denn zum Abschluss seines Beitrages betitelt er die Verfasser der Abgesänge auf den spanischen Stil als "Vollidioten". Eine unnötige Spitze, die seinen inhaltlichen Thesen ein wenig die Wucht raubt.

(areh)
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