Kritik von Ann Coulter Wie der Fußball die Amerikaner zivilisiert

Düsseldorf · American Football ist amerikanisch, beinhart und gut – der europäisch-südamerikanisch-afrikanische Fußball ist für kommunistische Weicheier, also schlecht. Die Art und Weise des WM-Aus des amerikanischen Teams hilft, dieses Schwarz-Weiß-Denken zu überwinden. Halleluja!

US-Fans fiebern vergeblich mit
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American Football ist amerikanisch, beinhart und gut — der europäisch-südamerikanisch-afrikanische Fußball ist für kommunistische Weicheier, also schlecht. Die Art und Weise des WM-Aus des amerikanischen Teams hilft, dieses Schwarz-Weiß-Denken zu überwinden. Halleluja!

Wer wissen will, wie es um die US-Gesellschaft steht, kommt an dem Namen Ann Coulter derzeit nicht vorbei — und noch weniger an ihren Gegnern. Die erzkonservative US-Autorin hat wortreich versucht zu argumentieren, dass die wachsende Popularität des "Soccer" nichts weniger als den "moralischen Verfall" der Vereinigten Staaten belege. Weil es im Fußball "keine Helden, keine Verlierer, keine Verantwortung" gebe.

Weil "echter" Sport nur marginal "veredelte Kriegsführung" sei und sich durch "das Risiko persönlicher Demütigung oder schwerer Verletzungen" erst definiere. "Nach einem Footballspiel transportieren Krankenwagen die Verletzten ab", schwärmt sie auf dem Höhepunkt ihrer Verteidigung des mit Abstand populärsten US-Sports. Nach einer Partie Soccer hingegen? "Bekommt jeder Spieler ein Schleifchen und ein Päckchen Saft."

Die Radikalen bekommen Gegenwind

Völlig ironiebefreit warnt Coulter in ihrem Pamphlet vor Soccer ebenso wie vor dem metrischen System, Straßenbahnen, Hillary Clinton und der New York Times. Alles unamerikanisch, ausländisch, des Teufels oder, noch schlimmer, kommunistisch. Es wäre großes Kabarett, wenn es nicht schlimmste Agitation vor allem gegen die lateinamerikanische Minderheit wäre, die auf fruchtbaren Boden fällt.

Coulters Machwerk dient rechten Websites als Steilvorlage, um inquisitorisch die Stammbäume der US-Spieler auf "ausländische" Arbeitgeber, Eltern und Großeltern abzuklopfen, was Coulter dann stolz bei Twitter postet. Allein dort erreicht Coulter mehr als 500.000 Fans; markiger, dumm-dreister Rechtspopulismus ist eben populär.

Die wichtigere Nachricht aber ist: Ein Großteil der Amerikaner schämt sich fremd für diese Frau. Das ist neu.

Was wir gerade miterleben, könnte der Anfang vom Ende des Schwarz-Weiß-Denkens in weiten Teilen der US-Gesellschaft sein, des mentalen Verharrens im Kalten Krieg, weil da alles so schön einfach war. Der Überbetonung des Martialischen, auch wenn es noch immer viele US-Bürger nicht nur für sinnvoll, sondern für unverzichtbar halten, mit Sturmgewehren durch Fast-Food-Restaurants oder über Spielplätze zu schlendern.

Fußball hilft gegen Kalten Krieg in den Köpfen

Zur Aufweichung dieser passiv-aggressiven Mentalität könnten die amerikanischen Soccer-Fans einen großen Beitrag leisten. Und das sind viele. Rund 200.000 US-Amerikaner hatten WM-Tickets gekauft; mehr als alle anderen Gäste in Brasilien, mehr sogar als die drei nächstgrößten Gruppen — Argentinier, Deutsche und Engländer — zusammen. Ein kleines Stückchen kosmopolitischer wird jeder von ihnen bei der Rückkehr sein.

Erleuchtung in die Geisteswüsten des Tiefen Südens und Mittleren Westens der USA allerdings bringt der Fußball wohl nicht: Zu den Rekord-TV-Quoten haben vor allem die aufgeklärteren, weltoffeneren Bürger der Ostküste beigetragen. Und selbst bei denen steht in den Sternen, ob der WM-Boom auf den Alltag durchschlagen wird, sich Bahn brechen wird in Interesse an Champions League, Bundesliga und der heimischen MLS und am selbst spielen.

Dennoch: Etwas Fundamentales bewegt sich. Betonierte Gewissheiten beginnen zu wanken. Weil darunter etwas wächst.

Verlieren galt als unamerikanisch, unentschieden erst recht

"Tod oder Gladiolen", das Motto von Ex-Bayern-Trainer Louis van Gaal, war lange quasi amerikanische Staatsräson. "Win or Go Home" heißt es, im Sport spricht man von "Championship or Bust" — Titelträger oder Totalversager. Grauzonen sind schlicht nicht vorgesehen. Geschichten aus den USA handeln stets von Helden, Gewinnern, Mogulen, Millionären. Die unzähligen Tellerwäscher, die nicht dazu wurden, werden totgeschwiegen. Weil verlieren als unamerikanisch galt, und unentschieden spielen noch viel mehr.

Bei dieser WM realisierten viele zum ersten Mal überhaupt, dass Niederlagen nicht nur lehrreicher sind als Siege, sondern auch genauso spannend sein können und nicht den Weltuntergang bedeuten müssen. Dass der Kindergärtnerinnen-Spruch stimmen kann, dass "alle Gewinner sind, unabhängig vom Ergebnis".

Es war ein langsamer Lernprozess.

Nun lernt Amerika, Verlierer zu feiern

Als Jürgen Klinsmann vor dem Turnier das Offensichtliche aussprach, dass die USA nämlich nicht Weltmeister werden würden, wollte die halbe Nation ihn teeren und federn. Weil es unamerikanisch ist, so etwas zu sagen.

Als ihr Team trotz nur eines Sieges in drei Spielen die Gruppenphase überstand, dämmerte manchem die Faszination und die Fairness eines Systems, das ohne Darwinismus-Dauerfeuer auskommt. Und eines Sports, der wegen der wenigen Tore den Schlechteren und Glücklicheren so große Siegchancen bietet wie kein Zweiter.

Als die unfassbar knappe Niederlage im Krimi gegen Geheimfavorit Belgien feststand, feierten sie unerhörterweise trotzdem. Sie feierten ihren Erfolg als einen solchen — nicht absolut (Titel oder Tod!), sondern eben relativ zu ihren Möglichkeiten. Sie feierten ihren Torwart-Titan Tim Howard, den Scherzkekse bei Wikipedia zum US-Verteidigungsminister beförderten und auch in andere Heiligtümer der USA montierten. Ihren Goldjungen Julian Green — obwohl der nicht nur im heidnisch-sozialistischen Deutschland spielt, sondern auch noch bei den Amateuren (!) des FC Bayern München.

Sie feierten ihre Verlierer. Und es fühlte sich gut an.

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