Vier Jahre nach dem "Fiasko von Knysna" Frankreich liebt seine "Equipe Tricolore" wieder

Salvador da Bahia · 5000 blau-weiß-rote Fans schmetterten im Estadio Nacional von Brasilia lauthals die Marseillaise, daheim jubelten 16 Millionen vor den Fernsehern. Frankreich liebt seine Equipe Tricolore wieder innig - vier Jahre nach dem größten Krach.

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"Ich bin sehr stolz, ein Franzose zu sein", sagte Außenstürmer Mathieu Valbuena nach dem WM-Viertelfinaleinzug und sprach seinen Landsleuten aus der Seele. "Die Party geht weiter", titelte die Sportzeitung L'Equipe und vergaß das "Fiasko von Knysna" nicht. "Diesmal haben sie den richtigen Bus genommen", bedeutete das anschließende Wortspiel: "Quart", Viertelfinale, hört sich an wie "car", Bus.

Damit spielte das Blatt natürlich auf den legendären Mannschaftsbus an, in dem die Spieler 2010 in der Kleinstadt in Südafrika streikten. Das Gefährt war öffentlichkeitswirksam kurz vor der WM in Brasilien verschrottet worden.

Jener 20. Juni 2010, als sich die Blauen um Franck Ribery und Patrice Evra weigerten, auszusteigen und zu trainieren, ist den Franzosen noch immer im Gedächtnis. Doch der Eklat nach dem Rauswurf von Nicolas Anelka, der den umstrittenen Trainer Raymond Domenech in der Halbzeitpause des 0:2 gegen Mexiko übelst beschimpft hatte, belastet vor dem Viertelfinale am Freitag (18.00 Uhr MESZ/Live-Ticker) gegen Deutschland in Rio de Janeiro kaum noch das Verhältnis zum neuen Team.

Die Rädelsführer sind weg

Dass auf den Tag genau vier Jahre danach mit dem grandiosen 5:2 in der Vorrunde gegen die Schweiz die Equipe Tricolore eine sportliche Wiedergeburt feierte, half. Auch, dass die meisten Rädelsführer von damals in Brasilien nicht mehr dabei sind. Ribery fehlt wegen chronischer Rückenschmerzen und wird bislang überhaupt nicht vermisst. Zum Viertelfinale lud der Verband den Bayern-Star als Gast aber ein, Ribery sagte wegen seines Urlaubs jedoch ab.

Auslöser Anelka und Thierry Henry haben sich längst verabschiedet. Jeremy Toulalan, der damals die Presseerklärung verfasste, gehört ebenfalls nicht mehr zu den Blauen. Übrig geblieben ist von den Hauptdarstellern lediglich der damalige Kapitän Evra.

Der 33-Jährige, der Älteste im jungen französischen Team, gibt sich geläutert. "2010 habe ich alles gegeben und meine Energie verloren, heute gebe ich alles und erhalte Energie zurück", sagte der Linksverteidiger, "2010 hat mich aufgefressen."

Der Revoluzzer von Südafrika sieht sich aber immer noch als Wortführer. "Als ich nach meiner Sperre zurückgekommen bin, habe ich mir gesagt: Mach dich ganz klein", berichtete er, "aber das kann ich nicht. Ich bin ein Anführer." Diesmal führt er seine Mitspieler auf dem Feld, nicht im Mannschaftsbus.

Neue Talente sind da

Inmitten der jungen Raphael Varane (21), Paul Pogba (21) oder Antoine Griezmann (23) fühlt sich Evra pudelwohl. "Wir sitzen zusammen beim Frühstück und fragen uns: Warum spielen wir nicht alle zusammen in einem Verein?", berichtete er: "Der Stolz, das Trikot tragen zu dürfen, ist zurück."

Die Liebe der Landsleute entflammte schon am 19. November 2013 neu. Beim 3:0 im entscheidenden Play-off-Spiel um die WM-Teilnahme gegen die Ukraine passierte es. "Als wir mit dem Rücken zur Wand standen, ist der Funke übergesprungen", erinnerte sich Trainer Didier Deschamps, "als die Zuschauer nach dem Abpfiff noch im Stadion geblieben sind und die Marseillaise gesungen haben..." Das 0:2 aus dem Hinspiel war ausradiert, die neue Liebe entfacht, "das war die Trendwende", glaubt der Weltmeister von 1998.

(sid)
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