Franz Beckenbauer und die WM 2006 Die Affäre wird kaiserlich

Düsseldorf · Franz Beckenbauer beteuert in einer ersten Stellungnahme: Es wurden keine Stimmen gekauft. Der "Kaiser" rückt in der WM-Affäre in den Mittelpunkt.

Vor acht Tagen hat er mit seinem Golfpartner telefoniert. Das kommt vor. Und es stört Franz Beckenbauer natürlich nicht, dass sein Golfpartner ein wichtiger Meinungsmacher im Fußballgeschäft ist. Im Gegenteil. Alfred Draxler, heute Chefredakteur der "Sport-Bild", davor lange Jahre an der Spitze der "Bild", marschierte nach dem Telefonat in die Doppelpass-Talkshow von "Sport 1" und erklärte, "der Franz" habe ihm "glaubhaft" versichert, dass es keine Bestechung bei der WM-Vergabe 2006 gegeben habe. Damit musste dann doch wohl alles gut sein.

Ist es aber nicht. Denn niemand konnte bisher die geheimnisvollen Vorgänge um eine Überweisung von 6,7 Millionen Euro auf ein Fifa-Konto aufklären. Gestern machte Franz Beckenbauer seinen ersten Versuch, nachdem DFB-Präsident Wolfgang Niersbach vergangene Woche gescheitert war. Der damalige Chef des Bewerbungs- und Organisationskomitees der WM erklärte schriftlich: "Es wurden keine Stimmen gekauft. Um einen Finanzierungszuschuss der Fifa zu erhalten, wurde auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingegangen, den die Beteiligten aus heutiger Sicht hätten zurückweisen sollen. Für diesen Fehler trage ich als Präsident des damaligen Organisationskomitees die Verantwortung."

Beckenbauer wiederholte damit die Version, die er seinem Freund Niersbach nach einem Treffen in Salzburg mit auf den Rückweg zur DFB-Zentrale nach Frankfurt gegeben hatte. Sie geht so: Die Fifa habe 2002 vom DFB 6,7 Millionen Euro verlangt, damit der später in den Genuss eines Zuschusses für die WM-Organisation in Höhe von 170 Millionen Euro kommen könne. Weil das OK keine eigenen Mittel gehabt habe, sei das Geld vom ehemaligen Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus vorgestreckt worden. Mehr als diesen "Fehler" will Beckenbauer allerdings nicht preisgeben.

Er habe den Vorgang der Untersuchungskommission des DFB geschildert, werde sich darüber hinaus "nicht weiter äußern, um die weiteren Befragungen nicht zu beeinträchtigen". Einen kleinen Tritt in Richtung des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger erlaubte er sich dennoch. Ohne den Namen zu nennen, betonte Beckenbauer, dass er "das Verhalten anderer Beteiligter teilweise unerträglich" finde.

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Trotzdem ist die Affäre um die 6,7 Millionen Euro beim Fußballkaiser angekommen. Franz Beckenbauer rückt in den Mittelpunkt. Dort fühlt er sich eigentlich wohl, denn er war immer ein öffentlicher Mensch. Der beste deutsche Fußballer aller Zeiten, Weltmeister als Spieler und als Trainer, Fußball-Diplomat, dem die Legende zuschreibt, allein das Sommermärchen nach Deutschland geholt zu haben, der Funktionär mit dem höchsten Charme-Faktor und einer, dem alles verziehen wird. Beckenbauer hat seine Meinungen zwischen Frühstück und Mittagessen geändert, er sagte heute dies, morgen das Gegenteil. Aber es hielt ihm niemand vor. Schrullig fanden es die meisten, liebenswürdig, "der Franz" halt.

Deshalb spielt der DFB in der WM-Affäre den Ball nach Salzburg zum Franz. Die Hoffnung der Funktionäre: Er ist am ehesten die Figur, an dem Vorwürfe abperlen würden wie an einer beschichteten Pfanne das Wasser. Es gibt Beispiele dafür. Bislang ist ihm allenfalls am Rande vorgehalten worden, dass er sich nach der Wahl Russlands zum WM-Ausrichter 2018, an der er als Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees 2010 beteiligt war, vom russischen Staatskonzern Gazprom zum Sportbotschafter ernennen ließ. Es wird nur registriert, dass er nach einem Besuch beim WM-Ausrichter Katar (2022) erklärte, er habe "auf den Baustellen keinen einzigen Sklaven gesehen". Anschließend hat er diese Bemerkung charmant zurechtgelächelt. Und seine Fans sagen: So ist er nun mal.

Aber wie ist er denn? Auf jeden Fall nicht nur nett und meinungsfreudig. Er ist auch geschäftstüchtig und politisch nicht so minderbemittelt, wie es vielen erscheinen mag, die seine Wortbeiträge beliebig finden. Der Geschäftsmann Beckenbauer betrat mit dem Fußballer Beckenbauer in den 60er Jahren die große Bühne. Das große Geld rollte, als sich der Münchner Manager Robert Schwan um die Geschäfte des Liberos kümmerte. Während seine Kollegen in den kurzen Hosen jubelten, wenn sie im Jahr auf 100.000 Euro Gehalt kamen, war der Ober-Bayer Einkommens-Millionär. Es gilt als sicher, dass er 1977 nicht wegen der Wolkenkratzer von den Bayern zu Cosmos New York floh. Die Steuerfahndung war hinter ihm her.

Jahre später kehrte er viel reicher zurück und beteuerte: "Ich habe in Deutschland alle meine Steuerschulden bezahlt, ich kriege sogar etwas zurück." Den Lebensmittelpunkt verlegte er vorsichtshalber zunächst in die Schweiz, später nach Österreich. In der Schweiz ließ er eine "Vermögensbildende Gesellschaft" ins Handelsregister eintragen, die Firma sollte den Namen Beckenbauer wirtschaftlich nutzen.

Das funktionierte prächtig. Eine Werbefigur blieb Beckenbauer auch nach der Fußball-Laufbahn. Und mit seinem Vertrauten Fedor Radmann zog und zieht der Weltmeister an vielen Strippen. Er wurde das Gesicht der WM-Bewerbung, weil er ein großer Fußballer war und weil er im Fußball-Diplomatenzirkus die richtigen Umgangsformen mitbrachte. Ob dazu heimliche Zahlungen, verschleierte Rechnungen oder allein männerbündische Kumpanei "Stimmst du für mich, stimm ich für dich" gehören, wird nicht verraten. Dabei könnte Beckenbauer viel erzählen. Über die Beziehungen des Organisationskomitees und des FC Bayern zum verstorbenen Adidas-Chef Dreyfus, der hinter der Millionenzahlung stecken soll. Über die Vermarktungsfirma ISL, die bis zum Konkurs 2001 Marketingpartner der Fifa war. Über Leo Kirch und sein Medienimperium, das die TV-Rechte der WM 2006 besaß. Und natürlich über die Macht der "Bildzeitung". Die hatte er früh begriffen. Als Spieler schloss er bereits einen Nichtangriffspakt mit dem Blatt. Beckenbauer lieferte mal eine exklusive Nachricht, später eine regelmäßige Kolumne. Als Gegenleistung schonte ihn das Blatt oder hob ihn noch mehr als alle anderen in den Fußball-Himmel.

Beckenbauer verdankt seine Position im Weltfußball diesem Netzwerk. Er ist mächtiger, als er erscheint. Selbst Niersbach muss das erfahren. Den ließ er zunächst im Regen stehen. Dafür verbreitete sein Golfpartner Draxler noch vor Niersbachs schon berühmter Pressekonferenz Beckenbauers Sicht der Dinge. Auch dass er diese Woche mit den Ermittlern reden werde, hat er natürlich seinen Kumpels bei der "Bild" erzählt. Es hört sich an wie ein Akt kaiserlicher Gnade. Und das sagt auch etwas über Beckenbauers Selbstbild.

(pet)
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