Kehrtwende beim Bundestrainer Löw erklärt schönen Fußball für beendet

Porto Alegre · Joachim Löw kehrt bei dieser WM zum Pragmatismus zurück. Seine neue Maxime lautet: "Wir müssen nicht fantastisch spielen, sondern wir müssen gewinnen."

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Deutschland - Algerien: Pressestimmen

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Achtung, jetzt tut's weh: Die deutschen Fans müssen von einer liebgewordenen Vorstellung Abschied nehmen. Der frühe Joachim Löw hat sie ihnen eingeredet. Vor vier Jahren, zwischen Sommermärchen und teilweise großen Spielen der Nationalelf bei der WM in Südafrika, hatte er den Stein der Weisen entdeckt. "Ich weiß jetzt, was man alles braucht, um erfolgreich schönen Fußball zu spielen", sagte er. Das Volk jubelte. So richtig verraten hat er diese große Wahrheit nicht.

Bis heute übrigens nicht. Immerhin aber ist der Kern dieser Geschichte, der schöne Fußball, so etwas wie das Mantra des obersten Übungsleiters der Nation geworden. Zunehmenden Bedenken gegen sein Modell hielt er nach zweiten und dritten Plätzen bei WM- und EM-Turnieren tapfer entgegen: "Wer den schönsten Fußball spielt, der hat den größten Erfolg. Ich liebe den schönen, den offensiven Fußball."

Aber auch bei ihm macht sich der böse Zweifel breit. Es muss sich im Arbeitskreis der deutschen Trainer in der Abgeschiedenheit des gemeinsamen Hauses im Campo Bahia in Brasilien herumgesprochen haben, dass es sich beim Fußball tatsächlich um einen Ergebnissport handelt. Unter dem Banner mit dem Spruch "Ein guter Anfang braucht Begeisterung, ein gutes Ende Disziplin", das sich die Übungsleiter-Gruppe in ihre Begegnungszone gehängt hat, könnte vielleicht der treue Assistent Hansi Flick seinen Chef bei einem gemeinsamen Vanilletee darauf hingewiesen haben.

"Wir müssen nicht fantastisch spielen"

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Und der erst in der Verlängerung herausgekämpfte 2:1-Erfolg über Algerien im Achtelfinale hat Löw dann wohl endgültig den Weg zur Abkehr von allen seinen fußballerischen Grundwerten gewiesen. Er wurde gefragt, ob er beim Turnier bislang eine Mannschaft gesehen habe, die fantastischen Fußball spiele. Und Löw antwortete: "Davon kann man bei einer WM gar nicht ausgehen. Wir müssen nicht fantastisch spielen, sondern wir müssen gewinnen. Wir haben vielleicht in der Vergangenheit bei dem einen oder anderen Turnier fantastisch gespielt - und sind ausgeschieden." Das ist ein Wort. Löw sagt den schönen Fußball als sein wichtigstes Ziel einfach ab.

Zumindest für den Geltungsbereich des Turniers, für die Veranstaltungen, in denen es um Titel geht, um die sportliche Unsterblichkeit. Das ist das nächste, aber das ultimative Zugeständnis an die Wirklichkeit des Profisports, in der am Ende immer nur der Gewinner zählt. Für Löw ist das ein schmerzhaftes Zugeständnis. Er begreift sich als Wahrer des Guten, Wahren und Schönen im Fußball, und er muss sich nun auf eine Stufe stellen mit all den Verhinderern, Mauerbauern und Zynikern. Er muss vielleicht wie José Mourinho werden, dessen furchtbares Trainer-Werk die Romantiker verabscheuen und die Chroniken mit Titeln bedenken. Er muss am Ende all den neunmalklugen Haudraufs aus vergangenen Epochen Recht geben, denen die Schönheit des Spiels herzlich gleichgültig war und ist, wenn das Spiel denn gewonnen wurde.

So was zieht ihm harte Falten des Abscheus vor sich selbst ins Gesicht. Aber er muss ja nun mal auch mit seinen eigenen Ansprüchen leben. Nicht nur die Öffentlichkeit verlangt langsam den sichtbaren Erfolg, auch die Trainerlaufbahn Löw braucht diese Auszeichnung.

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Kapitulation vor den Gesetzen des Ergebnissports

Dass sein Weg zurück in die Zeit vor 2010 von der Mannschaft sogleich mit derart bereitwilliger Gefolgschaft begleitet würde, hätte auch der Bundestrainer nicht so gewollt. Der wenig geglückte Auftritt gegen Algerien wirkte wie ein Vorgeschmack auf eine allgemeinere Kapitulation vor den Gesetzen des Ergebnissports. Das Spiel der Löw-Jünger war nicht nur nüchtern, es war schlecht. Aber es war erfolgreich.

Noch hebt es sich natürlich ab von der fürchterlichen Zeit des zum Sinnbild aufgestiegenen deutschen Rumpelfußballs, die sich niemand zurückwünschen kann, der nicht wieder das Fremdschämen für sich entdecken will. Das gesamte Turnier der deutschen Mannschaft markiert möglicherweise jedoch den Beginn einer neuen Sachlichkeit. Dazu muss Löw nun allerdings auch eigene Beiträge leisten. Es reicht sicher nicht aus, eingeschnappt auf die Frage zu reagieren, warum er denn nach einem derart uninspirierten Auftritt so zufrieden wirke. "Soll ich vielleicht stark enttäuscht sein, weil wir in der nächsten Runde stehen?", fragte er, "solche Spiele gibt es in so einem Turnier. Da geht es nur darum, absoluten Willen zu zeigen."

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Foto: afp, lab/dlb/BF

Zum Glück hat er nicht auf Mario Götze und Mesut Özil als leuchtende Beispiele dieser vom Willen durchdrungenen Tatmenschen gezeigt. Zumindest haben sie schon mal nicht fantastisch gespielt. Die erste Vorgabe für Titelkandidaten ist damit also erfüllt.

(RP)
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