Auf den Mund geschaut "Das ist so kacke" — Lippenleserin entschlüsselt Löw

Sao Paulo/Neu-Ulm · Julia Probst schaut genau hin. Aber Joachim Löw macht es ihr richtig schwer. "Jetzt sprach Jogi gerade mit der Hand vor dem Mund. Ihm ist wohl wieder eingefallen, dass da jemand zuschauen könnte", twittert die 32-Jährige. Kurz darauf hält er sich sogar das Handtuch vor den Mund.

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Foto: afp, lab/dlb/BF

Doch manchmal geht es auch einfach mit dem Bundestrainer durch. "Das ist so kacke", ruft er im WM-Spiel gegen die USA (1:0). "Was ist das denn?", fragt er beim Spiel gegen Algerien (2:1 n.V.), "ich versteh nicht, warum es nicht besser wird."

Etwa 26.000 Menschen in Deutschland erfahren bei jedem WM-Spiel, was der Bundestrainer so von sich gibt. Denn sie folgen Julia Probst bei Twitter. Dort hat die 32-Jährige unter dem Namen @EinAugenschmaus den sogenannten "Ableseservice" eingeführt. Dort twittert die gehörlose Bloggerin und "Barrierefreiheitsaktivistin", was sie den Spielern und Trainern so alles von Lippen abliest.

Die fühlen sich natürlich beobachtet. Löw zuckte bei der EM 2012 regelrecht zusammen, als er mit eigenen Zitaten vom Spielfeldrand konfrontiert wurde und erklärte, dass "ich mich in Zukunft wohl etwas zurückhalten werde". Nun nimmt er eben die Hand oder sogar das Handtuch.

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Foto: AFP

Einfache Arbeit dank "Jogi-Cam"

Beschwert hat sich aber noch nie jemand bei ihr, erklärt Probst. Sie twittere schließlich auch nur das, "wovon ich mir sicher bin, es richtig verstanden zu haben". Das zu tun ist einerseits leichter geworden, dank einer "Jogi-Cam", die das ZDF im Streaming anbietet und die Probst "mein El Dorado" nennt.

Es ist aber andererseits auch deutlich schwieriger geworden. "Es gibt bei dieser WM vermehrt den Trend, dass Spieler und Trainer die Hand vor den Mund halten", erklärt sie. Beobachtet hat sie das auch nach dem deutschen Achtelfinale gegen Algerien bei Manuel Neuer. Und freute sich, "denn das war quasi die beste Werbung für den Ableseservice".

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Stars wie Neymar oder Lionel Messi unterhalten sich vor allem bei Freistößen nur noch mit vorgehaltener Hand mit ihren Kollegen. In Südamerika und Spanien ist es längst Usus, Lippenleser einzusetzen. Vor dem TV als Service für die Zuschauer. Aber auch von der Konkurrenz, um taktische Feinheiten zu erfahren. In den US-Profiligen ist dies schon seit Jahren die Normalität.

Hilfe bei rassistischen Vorfällen

"Beim American Football haben die Teams Lippenleser, um sich gegenseitig auszuspionieren", sagt Probst: "Da erkennt man auch sehr schön, wie die Trainer sich vor den Lippenlesern schützen." Sie selbst würde sich dafür nicht engagieren lassen. "Etwas anderes wäre es, wenn auf Gesuch des DFB ein rassistischer Vorfall aufgeklärt werden sollte." Wie 2012, als eine Lippenleserin aus England veröffentlichte, was Nationalspieler John Terry wohl zu seinem dunkelhäutigen Mitspieler Anton Ferdinand sagte. Terry musste sein Kapitänsamt abgeben und trat später aus der Nationalelf zurück.

In der deutschen Mannschaft gebe es solche Vorfälle nicht, versichert Probst. "Unsere Spieler gehen sehr freundschaftlich miteinander um", sagt sie: "Sie loben sich und spornen sich gegenseitig an. Es sind halt gute erzogene Gentlemen."

Am schwersten abzulesen ist laut Probst übrigens Jerome Boateng. Der, sagt sie schmunzelnd, sei "ein fürchterlicher Nuschler. Aber egal, Hauptsache er spielt gut!"

(sid)
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