WM 2014 Mesut Özil — der Spielmacher von der traurigen Gestalt

Santo Andre · Mesut Özil ist der teuerste deutsche Spieler. Doch in den Wochen vor der WM wuchsen die Zweifel an seinen Fähigkeiten.

WM 2014: Mesut Özil — der Spielmacher von der traurigen Gestalt
Foto: afp, pst/bb

Wahrscheinlich hat das alles so angefangen: Im mittlerweile berühmten "Affenkäfig" von Gelsenkirchen-Bulmke, dem Bolzplatz an der Olgastraße, hat der kleine Mesut mal wieder eine geniale Idee. Er streichelt den Ball mit einer winzigen, fast unsichtbaren Fußbewegung. Und das Spiel bewegt sich in eine völlig andere Richtung. Der kleine Ali steht plötzlich vollkommen frei mit dem Ball vor dem Tor, aber er ist zu überrascht und verstolpert.

Da wird der kleine Mesut ganz traurig, weil die gute Idee so verschwendet wird. Und er zieht die Schultern ein Stück höher, lässt den Kopf hängen und guckt bis zum frühen Abend niemanden mehr an.

Viele Jahre später ist der kleine Ali vielleicht bei der Stadtverwaltung, und aus dem kleinen Mesut ist ein großer Mesut geworden. Den Nachnamen Özil kann die ganze Welt buchstabieren, denn Mesut Özil ist ein Star, ein begnadeter Mittelfeldspieler, auf den Bundestrainer Joachim Löw seine Hoffnungen bei der Weltmeisterschaft in Brasilien setzt. Nur das mit der Körperhaltung, das gibt es noch immer.

An guten Tagen sehen Özils Kritiker darüber hinweg. An schlechten Tagen geht ihnen der wenig aufrechte Gang des Deutschtürken mächtig auf die Nerven. Vor allem die Platzhirsche von früher sehen den leisen Mann des FC Arsenal zunehmend mit großen Bedenken. Michael Ballack findet, "dass seine Körpersprache manchmal nicht so ist, wie sie bei einem Spieler seiner Kategorie sein sollte". Und er glaubt, "dass Özil zu wenig Verantwortung übernimmt". Dabei sei er "einer unserer besten Spieler, eine große Nummer 10".

Ballack, dem man vieles vorwerfen kann, nicht aber, keine Führungsansprüche durchgesetzt zu haben, stört, dass Özil nicht vorangeht, wenn es schwierig wird. Dass er gelegentlich vollkommen unbeteiligt wirkt, dass er sich aus dem Spiel vorübergehend verabschiedet. Und er übersieht, dass es gar nicht Özils Naturell entspricht, Präsenz zu zeigen. Özil lebt eher für den Augenblick, die Aktion, die ein Spiel verändert.

Das ist eine Qualität, die seine Trainer sehen. Deswegen hat er bei Real Madrid gespielt, und deswegen blätterte Arsenal London 50 Millionen Euro Ablöse für ihn auf den Tisch. Es schien gut angelegtes Geld zu sein, der Start beim neuen Arbeitgeber lief prima im vergangenen Jahr. Özils Ideen waren zunächst genau das, was Arsenal zur Rückkehr in den Kreis der großen europäischen Teams noch fehlte.

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Unsichtbar in den großen Spielen

Aber dann rutschte der Spielmacher mehr und mehr von der Rolle. Große Auftritte wurden seltener, und in den großen Spielen, zum Beispiel in der Champions League gegen Bayern München, war Özil unsichtbar. Beim zunehmend kritischeren Fußballvolk nährte das den Verdacht: "Das ist keiner für die wichtigen Spiele." Ein vernichtendes Urteil für eine Kreativkraft mit Özils Potenzial und mit seinen Ansprüchen.

Er hat schon mehrmals betont: "Ich will der beste Spieler der Welt werden." Und das würde sich nur blöd anhören, wenn seine Auftritte zum Beispiel bei der WM vor vier Jahren in Südafrika nicht ahnen ließen, was für eine Wirkung das zarte Bürschchen entfalten kann. Jetzt, da er mit 25 Jahren so langsam ins allerbeste Alter kommt, hört es sich im Angesicht von schlappen Vorstellungen wie bei den letzten beiden Vorbereitungsspielen tatsächlich ein bisschen blöd an. Özil hatte nicht nur wenig Körperspannung, er spielte schlampig und erkennbar ohne Selbstbewusstsein. Er wurde ausgepfiffen.

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Solche Pfiffe schmerzen auch Löw, seinen großen Förderer. Der Bundestrainer setzt fast schon verzweifelt auf Özils geniale Momente. Und er hat sich in Mönchengladbach nach dem 2:2 gegen Kamerun sicher nicht zufällig für Özil starkgemacht. "Der Mesut", sagt er, "ist schon auch ein sehr, sehr wichtiger Spieler, der Entscheidendes für Deutschland tun kann. Ich werde ihm Selbstbewusstsein geben durch Gespräche und Vertrauen." Eher unbewusst hat er eines von Özils Schlüsselwörtern benutzt. Häufiger noch als den Satz, er wolle der Beste der Welt werden, sagt der 25-Jährige: "Ich brauche das Vertrauen vom Trainer." Und er schaut dann so traurig, dass Michael Ballack bestimmt gleich wieder eine Führungsspieler-Debatte anzetteln würde.

Löw macht das natürlich noch nicht. Weil er selbst eher einer der leiseren Töne ist, sieht er Özils Art mit einer gewissen Grundsympathie. Es wäre völlig gegen Löws Natur, wenn er den Spieler wegen erwiesener Formschwäche im ersten WM-Spiel auf die Bank setzen würde, wie es ein anderer ehemaliger Platzhirsch inzwischen annimmt. "Özil hat keinen Freifahrtschein", erklärt Lothar Matthäus, "auf seiner Position muss er sich erst mal durchsetzen. Er könnte der Verlierer werden." Das kann sein, aber sicher nicht vor dem ersten Spiel. Da ist er bei Löw gesetzt.

(RP)
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