Skandal um WM-Vergabe 2006 Was wusste der DFB-Generalsekretär?

Paris/Frankfurt · Der WM-Skandal erreicht die nächste Führungsfigur beim DFB. Generalsekretär Sandrock soll ebenso wie der zurückgetretene Präsident Niersbach früher als behauptet vom Beckenbauer-Papier gewusst haben.

Wolfgang Niersbach: Die perfekten Präsidenten für den DFB
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Das sind die perfekten DFB-Chefs

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Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) haben sie sich gegenseitig größtmöglichen Aufklärungswillen versichert. Offenbar war das aber nicht von allen so schrecklich ernst gemeint. Wie die "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel" berichten, soll Ex-Präsident Wolfgang Niersbach deutlich früher als von ihm behauptet über ein brisantes Papier informiert gewesen sein, das Franz Beckenbauer schwer belastet. Demnach soll es eine Vereinbarung mit dem bei der Fifa mehrfach der Korruption überführten Jack Warner aus Trinidad und Tobago gegeben haben - unterzeichnet vom OK-Chef Beckenbauer. Dieses Dokument wäre der erste klare Hinweis, dass es bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Laut "SZ" soll Niersbach schon vor Wochen von dem Vorgang erfahren haben. Der stellvertretende Generalsekretär des DFB, Stefan Hans, habe entsprechende Unterlagen gefunden - er war offenbar als Ein-Mann-Untersuchungskommission auf der Suche nach Unregelmäßigkeiten im Organisationskomitee. Hans habe seine Erkenntnisse, so die "SZ", sofort Niersbach und Generalsekretär Helmut Sandrock in Telefongesprächen mitgeteilt.

Reaktionen zum Rücktritt von Wolfgang Niersbach
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Ein hochrangiges Mitglied des DFB-Präsidiums hat unserer Redaktion bestätigt, dass Hans seine Erkenntnisse dem Präsidium und der Wirtschaftskanzlei Freshfields unterbreitet habe. Hans befindet sich in einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Verband. Ihm wird vorgehalten, er habe das besagte Dokument unterschlagen. Inwieweit er daher als belastbarer Zeuge taugt, wird sich erst noch zeigen müssen. Es passt auf jeden Fall ins Bild einer immer größeren Schlammschlacht.

Hans zählte zu Niersbachs engsten Mitarbeitern. Wollte er also seinem Chef einen Gefallen tun und absichtlich die Ermittlungen verschleppen? Versucht er seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und belastet deshalb Niersbach? Wenn er wirklich die Führungsspitze (Präsident und Generalsekretär) eingeweiht haben sollte, wäre Niersbachs Glaubwürdigkeit zerstört - und auch Sandrock wäre nicht länger tragbar.

Niersbach hatte erklärt, die Ermittlungen "in aller Offenheit und Ehrlichkeit" begleiten zu wollen. Und noch vor drei Wochen hatte er auf einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Pressekonferenz bekräftigt: "Es ist bei der WM-Vergabe 2006 alles mit rechten Dingen zugegangen. Es hat keine schwarzen Kassen gegeben, es hat keinen Stimmenkauf gegeben."

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Niersbach soll erst Montagvormittag von den externen Ermittlern "offiziell" über das Dokument informiert worden sein, das Beckenbauer belastet. Danach habe er sich dann entschlossen, die "politische Verantwortung" zu übernehmen, und seinen Rücktritt erklärt. Ausdrücklich nicht als Eingeständnis eigener Schuld.

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Niersbach zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt hat. Ganz zu Anfang der Enthüllungen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hatte er zunächst behauptet, bereits seit Monaten würden interne Untersuchungen über ein möglicherweise gekauftes Sommermärchen laufen, und das Präsidium sei über die Abläufe informiert. Das erwies sich schnell als nicht korrekt - und die Kollegen im Präsidium zeigten sich verschnupft über das Krisenmanagement des Vorsitzenden.

Durch die neuen Enthüllungen kommt der DFB bei seiner Neuaufstellung in Verzug. Eigentlich wollten sich die Funktionäre heute vor dem Länderspiel in Paris auf einen Nachfolger von Niersbach verständigen. Schatzmeister Reinhard Grindel geht als eindeutiger Favorit in dieses Rennen. Nun ist man allerdings wieder einmal mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigt.

Ganz im Interesse der Grünen übrigens. "Die neuerlichen Enthüllungen zeigen, wie tief der Sumpf ist. Wir sind schockiert. Für einen Neuanfang des DFB ist ein Strukturwandel und personelle Neuaufstellung dringend vonnöten", sagte Özcan Mutlu, ihr sportpolitischer Sprecher im Bundestag, unserer Redaktion. "Wenn die Herren im Präsidium denken, es sei mit dem Rücktritt von Niersbach getan, irren sie gewaltig."

(gic)
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