"Das Amt steht über der Person" WM-Affäre bringt Niersbach zu Fall - Koch und Rauball übernehmen

Frankfurt/Main · Wolfgang Niersbach ist nicht mehr DFB-Präsident. Der 64-Jährige trat im Sog der Affäre um die WM 2006 zurück - weitere Enthüllungen werden folgen.

DFB-Präsident: Mögliche Nachfolger für Wolfgang Niersbach
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Mögliche Nachfolger für Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident

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Mit tiefen Augenringen und leiser Stimme, schwer gezeichnet vom Alptraum um das Sommermärchen trat Wolfgang Niersbach um kurz nach 17.00 Uhr vor die Mikrofone - und verkündete den alternativlosen Schritt, der in der Affäre um die WM 2006 noch Schlimmmes erahnen lässt. "Ich habe die Entscheidung getroffen, mit sofortiger Wirkung vom Amt des DFB-Präsidenten zurückzutreten", sagte der 64-Jährige, der erkannte, "dass der Punkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen".

Die schwerwiegenden Vorwürfe von schwarzen Kassen, die Steuerrazzia in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Niersbachs Privatanwesen und die "verschwundenen" 6,7 Millionen Euro haben den DFB-Boss nach Wochen des Schweigens letztlich doch zu Fall gebracht. "Das Amt des DFB-Präsidenten darf damit nicht belastet werden", sagte Niersbach: "Es geht auch um meine persönliche Reputation, aber das Amt steht über der Person." Die Amtsgeschäfte übernehmen die beiden Vizepräsidenten Reinhard Rauball und Rainer Koch.

Niersbach beharrte darauf, selbst nicht in den Skandal verwickelt zu sein. "Ich bleibe dabei und möchte noch einmal unmissverständlich klarstellen, dass ich von den Hintergründen der im Raum stehenden Zahlungsflüsse keinerlei Kenntnis hatte", äußerte Niersbach, der in den Exekutivkomitees des Weltverbands FIFA und der Europäischen Fußball-Union (UEFA) bleiben wird, nach der Krisensitzung in Frankfurt/Main: "Ich werde dazu beitragen, um alles restlos aufzuklären."

Reaktionen zum Rücktritt von Wolfgang Niersbach
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Der Schritt des früheren Journalisten lässt massiv Raum für Spekulationen. Sowohl Rauball als auch Koch lobten im Anschluss die Arbeit der externen Skandal-Aufklärer - die offenbar etwas gefunden haben, was die WM 2006 neun Jahre danach erschüttern wird. "Es sind eine Reihe von Punkten zutage gefördert werden, die zum Teil weiterer Aufklärung bedürfen", sagte Koch: "Die Frage, wie die WM vergeben wurde, wird uns noch weiter beschäftigen. Es geht um die vollständige und lückenlose Aufklärung der WM-Vergabe."

Niersbachs Vorgänger und Ankläger Theo Zwanziger reagierte betont gelassen auf die Nachricht: "Das ist Sache des DFB und von Wolfgang Niersbach. Das müssen sie selbst entscheiden", sagte er dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Niersbach sprach mit Wehmut über seine Entscheidung. "Ich habe über 27 Jahre für den DFB gearbeitet. Der DFB ist für mich mehr als ein Job gewesen, immer eine Herzensangelegenheit", sagte er: "Und gerade diese wunderbare WM 2006, dieses Sommermärchen, war für mich ein Highlight in meinem beruflichen Leben, das ich nie vergessen werde. Umso bitterer ist es, elf Jahre später zu erfahren, dass dort offenbar Dinge passiert sind, von denen ich auch keine Kenntnis hatte." Er versprach restlose Aufklärung.

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Bereits um 9.18 Uhr war der 64-Jährige in der DFB-Zentrale angekommen, um sich auf die Sitzungen am Nachmittag vorzubereiten. Der Präsident musste dabei endlich Antworten auf die zahlreichen ungeklärten Fragen präsentieren, der Druck war immens. Zahlreiche Vorstandsmitglieder und Politiker hatten laut nach Aufklärung gerufen. Auch Zwanziger holte erneut zu einem Rundumschlag aus und kündigte die Zusammenarbeit mit den vom DFB bestellten Skandal-Aufklärern auf.

Zwanziger-Anwalt Hans-Jörg Metz bezeichnete die Vorwürfe gegen seinen Mandaten mit Blick auf die fragliche Steuererklärung von 2006 als "Höhepunkt einer Verleumdungskampagne der letzten Tagen und Wochen". Es sei geradezu absurd, dass Zwanziger die Steuererklärung mit problematischem Inhalt dem damaligen Generalsekretär Niersbach "untergejubelt" habe.

Metz bezieht sich auf jüngste Medienberichte, die den Schluss nahe legen, dass Zwanziger und der frühere Generalsekretär Horst R. Schmidt den damals neu im Amt befindlichen Generalsekretär Niersbach im Oktober 2007 die längst fertiggestellte Steuererklärung von 2006 - inklusive der dubiosen Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro - unterschreiben ließen. Eben jene Steuererklärung war der Grund für die Razzia am vergangenen Dienstag beim DFB sowie bei Zwanziger, Schmidt und Niersbach. Die Summe der hinterzogenen Steuern könnte sich auf 2,6 Millionen Euro belaufen.

Zudem erklärte Zwanziger das Ende der Zusammenarbeit mit den Ermittlern der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit "sofortiger Wirkung". Das hat große Auswirkungen auf die Aufklärung, da Zwanziger das Protokoll der Befragung durch die Ermittler nicht autorisieren will - damit ist die Zwanziger-Befragung de facto wertlos.

Hintergrund für den Schritt Zwanzigers ist ein Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, wonach die Kanzlei den Katarer Mohamed Bin Hammam beraten haben soll. Der frühere FIFA-Funktionär Bin Hammam, der mittlerweile wegen Korruption lebenslang für Fußball-Aktivitäten gesperrt ist, wird immer wieder als möglicher Empfänger für das Millionen-Darlehen des früheren adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus genannt.

Niersbach konnte lange auf die Unterstützung der Fußball-Bosse zählen. Vor allem der Profibereich (Klaus Allofs, Hans-Joachim Watzke, Harald Strutz) stärkte dem früheren Journalisten zuletzt den Rücken. Niersbach gelang es aber offensichtlich nicht, die drängendsten Fragen zufriedenstellend zu beantworten.

(sid)
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