Interview mit Medienwissenschaftler Weischenberg "Gute Fußball-Kommentatoren können schweigen"

Düsseldorf · Siegfried Weischenberg gehört zu den führenden deutschen Kommunikationswissenschaftlern. Im Interview spricht der gebürtige Wuppertaler über die Fußball-Berichterstattung in Deutschland – und stellt vielen Kommentatoren kein gutes Zeugnis aus.

 Siegfried Weischenberg sieht die Fußball-Berichterstattung in Deutschland kritisch.

Siegfried Weischenberg sieht die Fußball-Berichterstattung in Deutschland kritisch.

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Siegfried Weischenberg gehört zu den führenden deutschen Kommunikationswissenschaftlern. Im Interview spricht der gebürtige Wuppertaler über die Fußball-Berichterstattung in Deutschland — und stellt vielen Kommentatoren kein gutes Zeugnis aus.

In der Vergangenheit war es oft so, dass es bei einer WM Neuerungen in der Berichterstattung gab. Warum?

Weischenberg Sie war stets vor allem im Bereich der Bildästhetik und im Bereich der technischen Übertragung innovativ. In den vergangenen Jahren konnte ich allerdings nicht feststellen, dass die journalistische Berichterstattung besonders innovativ war. Die Reporter fragen nicht besser, die Moderatoren moderieren nicht besser, da stagniert der Fernsehsportjournalismus seit Jahren. Und ich glaube auch nicht, dass sich die Ausbildung der Leute wesentlich verbessert hat. Es werden immer wieder dieselben banalen Fragen gestellt über die wir uns seit Jahren ärgern.

Zum Beispiel?

Weischenberg Nach einem Sieg der deutschen Mannschaft wird gejubelt und gefragt, wie sich ein Spieler fühlt. Er kann nicht viel anderes sagen, als dass er sich gut fühlt. Viele Reporter stellen geschlossene Fragen, die man nur mit Ja oder Nein beantworten kann. Da stelle ich seit vielen Jahren einen Mangel an Professionalität fest, der durch technische Spielereien nicht aufgefangen werden kann.

Gibt es gute Beispiele, wie es gemacht werden kann?

Weischenberg Ich war zuletzt längere Zeit in Südafrika. Da hatte ich neun Sportkanäle und konnte auch die Fußballbundesliga verfolgen - kommentiert von englischen Reportern. Die waren hervorragend; so gute TV-Kommentatoren habe ich in Deutschland seit Jahren nicht wahrgenommen. Um mal einen Namen zu nennen: Ich habe den früher zu Recht vielgelobten Marcel Reif bei Sky bei dem letzten Spiel zwischen Mönchengladbach und dem Hamburger SV erlebt und fand seine Leistung unzumutbar. Er hat von der ersten Minute an in einer sehr wertbeladenen Weise kommentiert und sich dabei um Kopf und Kragen geredet, weil das Spiel später in eine andere Richtung lief, als er es offenbar erwartet hatte. Bei den englischen Reportern war ich überrascht, wie gut sie sich im deutschen Fußball auskannten und wie gut sie ein Spiel 'lesen' konnten - und sie konnten auch mal schweigen. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Fernsehen, ob öffentlich-rechtlich oder privat, macht zu wenig Gedanken über die Qualität der Fußball-Berichterstattung.

Es gibt viele Experten, die eingesetzt werden. Ist das hilfreich?

Weischenberg Im Grunde genommen stellt sich der Sportjournalismus damit ein Armutszeugnis aus. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn man von Fall zu Fall Experten hinzuzieht. Aber die sind, gerade bei einem Sender, fast schon dabei, die gesamte Berichterstattung zu übernehmen. Für mich ist das fast eine Art Korruptionssystem. Das sind ehemalige Spieler, die mit ehemaligen Spielern, die jetzt als Sportdirektoren oder Trainer arbeiten, bestens bekannt - und da tut man sich gegenseitig nicht weh. Ich bin über die gesamte Sportberichterstattung in dem Bereich seit Jahren nicht richtig glücklich.

Wie bewerten Sie die Berichterstattung über die deutsche Nationalmannschaft?

Weischenberg Sie ist kritisch, aber halt so, wie Sportberichterstattung häufig ist: sehr stark ergebnisorientiert. Wenn das Team gut spielt und gewinnt, neigt man zum einen Extrem, wenn sie verliert, zum anderen. Man darf sich keiner Täuschung hingeben: Wenn die deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausscheidet, gibt es ein Riesenspektakel. Der Erwartungsdruck ist immens, auch in den Medien. Die Erwartung ist, dass Deutschland Weltmeister wird. Wenn es nicht über das Viertelfinale hinausgeht, war es das sicher für den Bundestrainer.

Welche Schlagzeile erwarten Sie nach dem letzten deutschen WM-Spiel?

Weischenberg Da kann man keine seriöse Prognose riskieren. Alles hängt vom Erfolg der Mannschaft ab. Ich würde nicht völlig ausschließen, dass sie ins Endspiel kommen kann. Ich glaube, eine Endspielniederlage würde der Mannschaft verziehen werden. Die Schlagzeilen würden in diesem Fall sehr enthusiastisch ausfallen. Alles darunter wird wohl anders aussehen. Das wird dann in die Richtung gehen: Wir hatten nie bessere Spieler, warum ist daraus nichts geworden?

KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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