WM-Kolumne Fünf Tore für Holland - die Weisheit des Fünfjährigen

Düsseldorf · Beim Tippspiel in unserer Familie treffen fußballerische Weltanschauungen aufeinander. Den ersten Volltreffer hätte mein Neffe gelandet - wenn ihn seine Eltern gelassen hätten.

 Martina Stöcker leitet das Ressort Report/NRW der RP.

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Foto: Phil Ninh

In meiner Familie ist seit WM-Beginn 17 Uhr die wichtigste Uhrzeit. Dann muss der WM-Tipp für den Tag (und die Nacht) abgegeben sein. Es geht nur um die Ehre, also um alles. Die Teilnehmer im Überblick:

Mein Vater: Kann die WM-Mannschaften seit 1954 aufzählen und guckt seit Jahrzehnten jeden Sport (dazu zählt er auch Golf). Wenn er nicht guckt, liest er den Sport-Videotext.

Meine Mutter: Kann keine WM-Mannschaften aufzählen, obwohl sie ungefähr genauso lange alle Sportereignisse mitverfolgen muss. Sie konsumiert Sport passiv.

Meine Schwester: Kann sich trotz dieser Sozialisation in der Familie nicht merken, dass man samstags zwischen 15.30 und 17.15 Uhr nicht anruft. Es sei denn, sie ist sich sicher, dass Schalke schon freitags verloren hat.

Mein Schwager: Kann familienintern noch nicht zu seiner Liebe zum FC Bayern München stehen. Aber wir wissen alle, dass es so ist, auch wenn er es leugnet. Bezieht sein Fachwissen als Fußball-Intellektueller aus einem 11-Freunde-Abonnement.

Ich: Bin die Tochter meines Vaters, gucke also jedes Sportereignis. Tippe leider immer nach Sympathie - selten für Holland (nur wegen Arjen Robben), immer mit einem Herz für die Außenseiter. Läuft selten gut.

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Meine Nichte Lotta (10): Kann alles (nicht nur im Geheimen) - also auch Fußballspiele tippen, logisch! In ihrem fußballerischen Können während ihrer kurzen Karriere ähnelte sie sehr dem späten Netzer: Ihr Bewegungsradius beschränkte sich meist auf den Mittelkreis, und sie gab die Anweisungen. Bei der letzten WM tippte sie immer für Paraguay und die Elfenbeinküste, weil sie "dieses Land Papagei" so schön fand wie die Küste, an der die Elfen wohnen. Jetzt tippt sie nach Gefühl.

Mein Neffe Anton (8): Kann sein Panini-Album fast auswendig aufsagen und weiß schon beim Päckchen-Öffnen, ob er die Nummer 275, 381 oder 578 schon hat. Er kennt sich also aus und spielt im Tor oder dort, wo sein Trainer ihn hinstellt. Er glaubt nicht, dass Südkorea weit kommt, denn der Trainer hat ein großes Problem. "Wie kann der seine Spieler auseinander halten?", fragt er. "Die heißen alle gleich und haben alle dieselbe Frisur." Stimmt: Yong, Young, Yueng oder Jeong tragen alle den Justin-Bieber-Gedächtnis-Pony.

Meine Neffe Oskar (5): Kann sich nicht von seinem Nuckel trennen und manchmal beim Fußballspielen nicht verstehen, warum ihm sein Gegner den Ball nicht freiwillig überlässt. Dann verlässt er den Rasen und muss sich von seiner Mama trösten lassen. Hätte er als Fußballer einen Künstlernamen, hieße er Sissi. Oskar mag es, hohe Ergebnisse zu tippen. Bei Holland gegen Spanien tippte er - den Nuckel im Mund - fünf Tore für Holland. Seine Eltern überredeten ihn, weniger Tore zu tippen. Hat er gemacht. War ein Fehler.

Ich überlege mir nun, ob es auch Nuckel für Erwachsene gibt - natürlich nur, damit ich mich besser beim Tippen konzentrieren kann.

Die Autorin leitet das Ressort Report/NRW unserer Zeitung.

(RP)
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